Gegenwind ist Kieler Lebensart

Kommentar von Jan Voß, Landesgeschäftsführer ADFC Schleswig-Holstein

Eigentlich ist schon alles zur Kiellinie gesagt. Und doch dreht sich die öffentliche Debatte – um der Debatte willen – weiter im Kreis. Selbst die Konservativen in Kiel haben erkannt: Mit der voranschreitenden Klimakrise können wir nicht mehr weitermachen wie bisher. Wir müssen uns und unsere Stadt umbauen. Alle sind für mehr Grün, mehr und besseren ÖPNV (Stadtbahn), mehr Radverkehr, weniger Autoverkehr, weniger Lärm und Abgase. Aber doch bitte nicht jetzt, nicht hier und nicht so! Denn es darf niemanden stören. Also, außer man wohnt am Theodor-Heuss-Ring, am West- oder Ostring oder an anderen vielbefahrenen Straßen. Diese Menschen müssen dann stillschweigend für die Mehrheit ihre Gesundheit, ihren Schlaf und ein lebenswertes Wohnumfeld aufgeben.

Aber zurück zur Kiellinie. Andere Städte schaffen mit großen Investitionen Wasseranlagen in der Stadt zur Naherholung – und was macht Kiel? Autofahrer*innen dürfen auf drei Kilometern in bester Lage den Meerblick genießen, während Radfahrende und Fußgänger*innen sich am Wasser quetschen müssen. Attraktive Gestaltung für Tourist*innen und Einwohner*innen: Fehlanzeige!

Pläne zur Ausgestaltung liegen vor, die Vorteile für Mensch und Natur sind ausführlich dargelegt. Die Spitzen von Politik und Verwaltung verstecken sich hinter den Wettbewerbsergebnissen, die noch nicht einmal mit einem Zeitplan hinterlegt sind. Dabei sind in Zeiten von Krisen schnelle Lösungen und Standhaftigkeit gefragt. Viel zu oft werden Entscheidungen gar nicht erst gefällt aus Sorge vor pauschaler einseitiger Kritik einer lauten, egoistischen Minderheit, aus Angst vor einer Scheindebatte, vor „besorgten“ Bürger*innen, die Leserbriefe an die Kieler Nachrichten schreiben.

Hier zeigt sich die Bürokratie von ihrer alten Seite. Man möchte es allen recht machen – und geht erst an die Öffentlichkeit, wenn die Tinte aller Abteilungsleiter*innen unter den Plänen trocken ist. Progressive Stadtgestaltung sieht anders aus und funktioniert. Für ein positives Beispiel müssen Politiker*innen und Verwaltungsmitarbeiter*innen nur bei der Stabsstelle Mobilität der Landeshauptstadt vorbeischauen, die die Vorplanung der Stadtbahn „on the fly“ innerhalb von rekordverdächtigen zwei Jahren erarbeiten möchte. Da sitzen die Ämter regelmäßig über den Arbeitspapieren und die Öffentlichkeit darf ihr Feedback direkt zu den ersten Planungen von Verwaltung und Planungsbüro abgeben, statt erst dann einbezogen zu werden, wenn jeder Strich drei Mal gegengeprüft wurde. Diesen Ansatz wünscht man sich häufiger in deutschen Verwaltungen. 

Deshalb mein Plädoyer: Die Kiellinie wird nicht für Autos gesperrt, sondern für Menschen geöffnet! Und das geht schnell, ohne Planungsbüro. Was mit der Fläche geschehen soll – abgesehen von hochwertigem Raum für Freizeit, Erholung und frischer Luft zum Flanieren an der Ostsee? Fragt doch die Bürger*innen, wenn sie vor Ort sind! Und der erwartbare öffentliche Gegenwind? Den sind wir doch in Kiel gewohnt und wissen: Jeder Sturm zieht nach kurzer Zeit vorbei, dann kommt die Sonne wieder raus. Und wo lässt sich diese besser genießen als direkt an der Ostsee?

Jan Voß vor der Geschäftsstelle in Kiel

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