Bash die Karre - Graveln über Grenzen
Text von Max Gaumnitz, Fotos von Matouš Podroužek
Was ist ein „Bash“? Laut Lexikon kann das Wort sowohl „Schlag“ als auch „Feier“ bedeuten, „to bash“ lässt sich wiederum mit „scharf kritisieren“ oder sogar „prügeln“ übersetzen. Nach meiner Teilnahme am Bohemian Border Bash Race finde ich den mehrdeutigen Namen sehr passend. Aber der Reihe nach. Mein persönliches Border Bash begann eigentlich schon vor ein paar Jahren, als ich die Freude am Radfahren neu entdeckte. Die Geschichte dazu ist weder neu noch originell: Wenn man den Radfahr-Blick mal über den Asphalt-Tellerrand schweifen lässt, tun sich sogar bei uns im dicht besiedelten, durchorganisierten Mitteleuropa unbekannte Gefilde und kleine Abenteuer auf. Man kann Zivilisationsstress und Straßenverkehr gewissermaßen ein Schnippchen schlagen, indem man versucht, naturnahe Fleckchen Land zu finden, dort Fahrrad zu fahren und sich dabei wunderbar frei zu fühlen. Zumindest behaupten Bike-und Outdoorindustrie das seit Jahren sehr offensiv in Hochglanzbroschüren und mit neuen Produktvorstellungen. Ich wollte als gelangweilter, verkehrstraumatisierter Radfahrer herausfinden, was davon für mich zutrifft. Mit dem umgebauten Stadtrad (und später mit dem neuen Gravelbike – danke, Fahrradindustrie ...) erlebte ich dann auf Feld- und Waldwegen, vernachlässigten Nebenstraßen und Wanderpfaden viele neue Herausforderungen – und tatsächlich eine Menge Spaß, mehr noch: Glück.
Das Schöne dabei: Der neue Spielplatz liegt direkt vor der Haustür. Im engen Radius rund um meinen Wohnort Dresden gibt es eine herrliche Vielfalt an verkehrsarmen, abwechslungsreichen Mixed-Terrain-Strecken. Besonders inmitten der COVID-19-Pandemie fühlte ich mich dadurch sehr privilegiert. Die große Verlockung während der Lockdowns war dann aber, trotzdem auch mal weiter wegzufahren. Der (ca. 40 Kilometer) nahe Osten rief nach mir. Ich starrte stundenlang auf Kartenmaterial, um neue Routen in Richtung der tschechischen Nachbarn zu finden. Mir wurde bald klar: Irgendwo zwischen Dreiländereck, Böhmischer und Sächsischer Schweiz, Lausitzer Gebirge, Isergebirge, Riesengebirge und Erzgebirge kann man sich derart in der Landschaft verlieren, dass man die vielen Höhenmeter dabei fast vergisst. Die berühmten Sandsteinformationen, abwechslungsreiche Geländeformen und ein fein verästeltes Wegenetz machen das nördliche Böhmen zu einer Art Gravel-Disneyland. Wenig überraschend liegt hier die Wiege des Bohemian Border Bash. Als ich das erste Mal davon las, waren aus meinen kurzen Runden um die Stadt bereits längerfristig geplante Wochenend-Expeditionen geworden und somit war eigentlich sehr klar, wohin meine weitere Reise geht: An den Start. Als ich tatsächlich gemeinsam mit 70 weiteren Teilnehmenden dort stand, fühlte ich mich gut vorbereitet. Wir tauchten ein in Grenzgebiete zwischen sehr präsenten Staaten und längst vergangenen Königreichen, gepflegten Straßen und vergessenen Schmugglerpfaden, Sprachen mit komplizierter oder sehr komplizierter Grammatik, traditioneller Küche mit oder ohne Knoblauch, Wachsein und Schlafen, Sport und Abenteuer, Radreise und Radrennen. Den Verlauf des Events und die teils unterhaltsamen Geschichten vieler Teilnehmender kann man dank GPS-Tracker und Kommentierung des Rennens im Web nachvollziehen.
Darum hier nur ein kurzes Fazit und ein paar Lehren aus meiner persönlichen Erfahrung: Es stellte sich als hilfreich heraus, das Event als 1300 Kilometer lange Schlussetappe einer Reise zu betrachten, die eigentlich schon lange im Vorfeld begonnen hatte. Mir gab der Gedanke Gelassenheit, mich ein bisschen wie auf dem Höhepunkt einer langen Party zu fühlen. Genieße den Moment! Reifenpannen, Kettenrisse, Schaltungsdefekte, Nässe, Kälte, Matsch, Hunger, Müdigkeit und Schmerzen sind in dieser Denkart wie alte Bekannte, die unvorhergesehen auf dem Fest auftauchen können, mit denen man aber gut umgehen kann und sie notfalls höflich verabschiedet. Aber bei aller Liebe zur Tiefenentspannung trotz widriger Umstände – auch Entschlussfreudigkeit und Improvisation gehören mit ins Lastenheft, z. B. bei der Wahl des Schlafplatzes (Bushaltestelle oder Friedhof?) und der Ernährung (300 Gramm Gummibärchen oder doch Gulasch mit Knödeln?). Und wer hätte es gedacht – die Bereitschaft zum Überwinden eigener innerer Grenzen ist auch sehr praktisch. Meine Anekdote dazu: Einmal musste ich meinem sonst mir heiligen Fahrrad richtig primitive Gewalt antun, um eine festklemmende Schaltung wortwörtlich wieder in Gang zu bringen. Mir wird beim Gedanken daran heute noch übel. Das klingt alles nicht nach Urlaub. Was hat man nun eigentlich davon? Ganz oben auf meiner Liste stehen gesteigerte Frustrationstoleranz in allen Lebensbereichen und eine Lektion in Demut, garniert mit reichlich Naturerlebnissen in der mitteleuropäischen Wildnis. Sie ist umzingelt von der Zivilisation, aber sehr lebendig. Sie war besonders gut spürbar in Wäldern, auf Bergen und in Tälern, bei Begegnungen mit Wildtieren, aber auch in der Abwesenheit von Lärm und Hektik. Entlang der von uns Menschen gedachten und festgelegten Grenzen hat sie eine einigermaßen ungestörte Nische gefunden. Sie war mehr als nur die Kulisse für ein Abenteuer und hat bei mir Fragen und Kritik zum menschlichen Umgang mit natürlichen Lebensräumen wieder zu mehr Dringlichkeit verholfen. Die Grenzen zwischen Wildnis und Zivilisation, Regionen und Kulturen machen das Bohemian Border Bash aus. Aber nur insofern, als dass sie ständig überschritten werden. Jetzt aber genug sinniert – ab aufs Rad!