Selbstverständlich Das Rad nehmen

“Fahrräder sind unsere Leidenschaft” – nach diesem Motto setzen Matthias Mühr und sein Team auf einzigartige Qualität sowie eine umfassende Beratung. Ob es um die Eignung des neues Pedelecs für den täglichen Einsatz geht, die Zweckmäßigkeit der wasserdichten Packtaschen oder die ergonomische Form von Sattel und Lenker – der Radladen Das Rad hat die Produkte mit Erfahrung und Sorgfalt zusammengetragen und achtet auf regionale Herkunft. Alles, was du bei ihnen findest, haben sie selbst ausprobiert und getestet. Wir treffen Gründungsmitglied und Geschäftsführer Matthias Mühr, um mit ihm über die aktuellen Herausforderungen in der Fahrradbranche und die Philosophie hinter seinem Fahrradladen Das Rad zu sprechen.

Robert im Interview mit Matthias Mühr

Hallo Matthias, stell dich doch bitte kurz vor.

Mein Name ist Matthias Mühr, ich bin einer der Gründungsmitglieder des Fahrradladens Das Rad. Wir haben unser Geschäft Ende der 80er Jahre gegründet. Es gab mehrere Anlässe für die Gründung. Ursprünglich übernahmen wir ein kleines Fahrradgeschäft, das eher eine Werkstatt und nicht ausschließlich auf Fahrräder ausgerichtet war. Der Laden gehörte einem Maschinen-Tüftler, der verschiedene Interessen hatte, darunter auch Fahrräder. Zusammen mit einem Partner habe ich diesen Laden dann übernommen. Zu dieser Zeit war ich Student, aber nicht wirklich zufrieden mit dem Studium und suchte nach ein wenig Abwechslung. Ich habe Sonderpädagogik im Lehramt studiert. Das hilft enorm im Tagesgeschäft, glaub mir! Während des Studiums haben wir gemerkt, dass man an einem Projekt arbeiten kann, das nicht nur für den Konsum oder zur Verschönerung dient, sondern tatsächlich einen praktischen Nutzen hat. Dieser Ansatz ist für uns auch heute noch wichtig. Wir haben festgestellt, dass es erfüllend ist, an etwas zu arbeiten, das einen Nutzen hat. Ursprünglich haben wir Fahrräder montiert und aufgebaut, darunter auch spezielle Modelle. Eine bekannte Marke damals war Motobecane, die für Qualität stand. Wir haben diese Fahrräder optimiert, indem wir andere Tretlager und Laufräder eingebaut haben – all diese Veränderungen, um die Räder den Wünschen unserer Kunden anzupassen. Diese Praxis ist zwar nicht unverändert geblieben, aber sie ist nach wie vor relevant. Heutzutage bieten wir Ergo-Fitting an, was im Grunde dasselbe ist. Hierbei geht es um die perfekte Anpassung der Sitzposition, Oberkörperhaltung und Schulterposition. Viele Menschen haben Schwierigkeiten mit dem Sattel oder im Schulterbereich, daher ist dieses Konzept immer noch aktuell. Die Begeisterung von damals, die uns dazu bewegte, aus unserem provisorischen Unternehmen ein professionelles Geschäft zu machen, besteht nach wie vor. Glücklicherweise konnten wir, obwohl wir alle über 60 Jahre alt sind, im Laufe der Jahrzehnte junge Menschen gewinnen, die die Vision weitertragen.




“Wir haben festgestellt, dass es erfüllend ist, an etwas zu arbeiten, das einen Nutzen hat.”




Hat sich euer Standort im Laufe der Jahre verändert?

Mittlerweile sind wir am dritten Standort. Zuerst waren wir in Dortmund in einem historischen Gebäude, in dem sich mal ein Zeitungsverlag befand, genannt “Nöwisschirische Rundschau” – eine einst bedeutende Zeitung dieser Region. Dann sind wir in eine Nebenstraße gezogen, was ebenfalls als Provisorium betrachtet werden kann. Schließlich sind wir 1997 an unseren aktuellen Standort gezogen und sind seitdem kontinuierlich gewachsen.



Über 30 Jahre hinweg hat sich Das Rad entwickelt. Wie hat sich deiner Meinung nach Dortmund in Bezug auf Fahrräder verändert?

Dortmund war schon immer ein dickes Brett, das man fahrradkulturell bohren musste. Es ist eine Autostadt, eine Industriestadt im Ruhrgebiet, mit einer langen Stahltradition. Die Leute sind bodenständig. Die Infrastruktur wurde, wie in allen Ruhrgebietsstädten, in den 60er-Jahren hauptsächlich für Autos entwickelt, sprich: doppelspurige Straßen überall. Das ist wirklich eine Herausforderung. Überraschenderweise begannen in den 80er-Jahren in Dortmund die U-Bahn-Bauarbeiten. Bis dahin fuhr die Straßenbahn oberirdisch, danach wurden die Schienen unter die Erde verlegt. Man hätte gedacht, dass mit der breiten Straße auch Radwege kommen würden. Das war zwar der Fall, aber von vornherein wurde nicht wirklich betont, wie wichtig das ist. Man hat Radwege hinzugefügt, aber auf eine Weise, die nicht wirklich effektiv war. Ein Beispiel: Die Stadt hat diese rötlich gefärbten Betonsteine verwendet und damit einen 1,20 Meter breiten Radweg auf dem Fußweg geschaffen. Das sieht man hier an vielen Stellen. Wenn man an ein Projekt denkt, das eine wirkliche Veränderung für die Stadt darstellen könnte, eine komplette Umgestaltung, dann hat das eigentlich erst vor etwa fünf oder sechs Jahren begonnen. Straßen werden zu Fahrradstraßen umgewandelt, aber das dauert alles ziemlich lange. In der Innenstadt haben wir einen ausgewiesenen Radweg, der vielleicht 800 Meter lang ist. Es geht also nur langsam voran. Aber wir müssen uns eben an die Gegebenheiten anpassen. Wir können nicht einfach erwarten, dass fantastische Radwege uns von selbst helfen, mehr Fahrräder zu verkaufen oder die Fahrradnutzung zu fördern. Die Menschen möchten Rad fahren und das tun sie auch. Und für die jüngere Generation – Dortmund ist auch eine Universitätsstadt – hat sich in den letzten Jahrzehnten viel verändert. Seitdem die Stahl- und Bauindustrie nicht mehr so präsent sind, gibt es mehr Arbeitsplätze im Verwaltungsbereich. Viele Menschen fahren hier jetzt selbstverständlich mit dem Fahrrad. Einen großen Schub hat uns die Corona-Pandemie gebracht. Die Menschen wollten plötzlich nicht mehr Bus fahren oder andere öffentliche Verkehrsmittel nutzen. Oder hatten andere Gründe, weil sie sich in ihrer Freiheit eingeschränkt fühlten und das Fahrrad nutzen wollten, um diese Freiheit zurückzugewinnen. Sie haben das Fahrrad neu entdeckt. Momentan gibt es sogar noch einen stärkeren Schub: die Möglichkeit des Leasings. Viele Arbeitgeber*innen bieten das mittlerweile ihren Mitarbeiter*innen an. Das zieht Menschen an, die zuvor nicht einmal an das Radfahren gedacht hätten.



Habt ihr euer Sortiment dementsprechend angepasst?

Ja, natürlich. Die Nachfrage nach E-Bikes ist immens. Wir sind vielleicht sogar im Ruhrgebiet Vorreiter*in. Schon 1998 haben wir mit E-Bikes begonnen, als diese noch belächelt wurden. Der Kontakt kam durch ein kleines Schweizer Unternehmen zustande. Der damalige Geschäftsführer kam tatsächlich mit einem VW-Bus und drei Fahrrädern hierher und sagte: “Probiert die mal aus.” Die Fahrräder kosteten 4000 Mark. Es handelte sich damals um den Hersteller BikeTech. Sie waren sozusagen Pioniere im Bereich der E-Bikes. Gleichzeitig gab es auch in den Niederlanden ein Unternehmen, das die ersten Elektrofahrräder entwickelte. Yamaha hatte schon ungefähr zehn Jahre zuvor ein recht einfaches Elektrorad in Zusammenarbeit mit Motobecane in Frankreich hergestellt. Die Räder waren kein Vergleich zu den heutigen E-Bikes. Dennoch war das für uns damals ein Thema. Das war zu einer Zeit, als viele andere noch nicht in den E-Bike-Markt eingestiegen sind. Wir waren dabei, hatten jedoch wenig Erfahrung. 


Du hattest zuvor erwähnt, dass ihr eure Vision, die ihr vor 30 Jahren entwickelt habt, auch auf junge Mitarbeiter*innen übertragen habt. Was zeichnet euch aus?

Wir versuchen, so wenig wie möglich dem Zufall zu überlassen. Wir haben im Laufe der Jahre auch auf professionelle Hilfe gesetzt. Über die etwa 35 Jahre unserer Geschichte hinweg haben wir zahlreiche Schulungen durchlaufen und viele Coachings in Anspruch genommen. Das war notwendig, da wir in der Hochphase fünf Gesellschafter hatten. Das ist eine recht komplexe Konstellation. Natürlich gibt es in solchen Situationen auch Meinungsverschiedenheiten, aber wir gehen damit konstruktiv um. Das ist nur auf professionelle Weise möglich. Bei solchen Dingen kommt natürlich auch eine gewisse Haltung zum Vorschein. Oder zumindest haben wir es geschafft, dies in gewissem Maße zu etablieren. Hinter allem steckt ein bestimmtes Menschenbild, ohne das jetzt übermäßig hervorheben zu wollen. Aber das lenken wir bewusst. Es ist eher so, dass Menschen zu uns kommen, anstatt dass wir aktiv suchen. Es gibt sozusagen eine gewisse Anziehungskraft. Allerdings bedeutet das auch, dass es nicht immer perfekt passt. Es kommt vor, dass wir uns von Mitarbeiter*innen trennen, oder sie eigene Pläne haben. Aber ich denke, dass man von dieser Grundhaltung von Freundlichkeit und Wertschätzung auch etwas lernen kann. 



Wie seid ihr aktuell aufgestellt?

Ich denke, was den Standort und die Größe angeht, sind wir an einem Punkt, an dem wir sortiments- und flächenmäßig nicht mehr weiterwachsen können. Diesen Punkt haben wir bereits erreicht – wir sind eigentlich zu klein. Die Logistik, die wir hier betreiben, ist eigentlich nicht optimal. Aber wir sind mitten in der Innenstadt und hier schon lange etabliert. Das ist für unsere Kund*innen sicherlich ein wichtiger Faktor. Auch wenn viele natürlich nicht mit dem Fahrrad zu uns kommen, sondern mit dem Auto. Besonders was Beratungen betrifft, beispielsweise bei unseren Premium-Marken wie Rennstahl, Falkenjagd, Parapera und Böttcher, kommen die Kund*innen aus ganz Europa. Gestern war jemand hier aus Den Haag, der genau so ein Fahrrad kaufen wollte. Wir sind hier erreichbar, und für viele unserer Stammkund*innen sind wir sogar zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichbar. Das ist ein entscheidender Punkt. Ich denke, dass wir für die nächsten fünf Jahre hier bleiben werden. Dann ist jedoch der Zeitpunkt gekommen, an dem die zweite Generation übernehmen könnte. Wir sind auch erfolgreich, was die Nachfolger*innen-Regelung angeht. Das ist mir persönlich sehr wichtig: Dass das Geschäft nicht mit den Eigentümer*innen endet oder im Rentenalter versiegt, sondern dass es eine junge Generation weiterführt.



“Mir ist es wichtig, dass das Geschäft nicht mit den Eigentümer*innen endet oder im Rentenalter versiegt,

sondern dass es eine junge Generation weiterführt.”



Parallel dazu verändert sich der Markt dramatisch. Heutzutage kannst du, selbst wenn die Nachfrage groß ist, nicht einfach erfolgreich einen Fahrradladen eröffnen. Du brauchst entweder eine spezielle Nische, die du bedienen kannst. Vielleicht eine bestimmte Art von Kund*innen, die du ansprichst, mit besonderen Vermessungs- oder Aerofitting-Diensten. Wenn du darin wirklich gut bist, könntest du bestehen. Aber du musst auch eine breite Produktpalette haben, die dir als Standbein dient. Du kannst sehen, dass viele Hersteller*innen versuchen, Vertriebsstrukturen aufzubauen, die nicht mehr ausschließlich auf traditionelle Händler*innen angewiesen sind. Sie machen das, wenn sie die nötigen Mittel haben, wirklich gut. In gewisser Weise braucht man Fahrradhändler*innen dann nicht mehr, wenn die Kund*innen selbst gut informiert ist. Bei E-Bikes wird der Servicebereich immer wichtiger. Manchmal ist es fast schon absurd. Es wird zunehmend so gehandhabt wie bei Haushaltsgeräten: Ein Kaffeevollautomat soll erstklassigen Kaffee zubereiten, aber wenn die automatische Reinigung nicht mehr funktioniert, musst du einen neuen Kaffeevollautomaten kaufen. Es entsteht so ein gewisses Abhängigkeitsgefühl. Das bedeutet, dass du dich nicht nur mit den üblichen Handelsangelegenheiten befassen musst, also wie der Wettbewerb agiert, wie die Nachfrage aussieht, was du tun musst, ob du deinen Laden umgestalten solltest oder Ähnliches. Du wirst vielmehr mit erheblichen Veränderungen im technischen Bereich und in der Handelsstruktur konfrontiert. Ein Unternehmen wie #Brompton verkauft seine Räder auch über das Internet. Das ist klar. In dieser Hinsicht sehen wir uns selbst als führend an, als Goldstandard. Wir gehören zu den größten in diesem Bereich.

Was wünschst du dir für die Zukunft?


Das Wichtigste ist für mich, dass alle in einer ähnlichen körperlichen Verfassung sind, also dass es allen gut geht. Im Moment habe ich keine großen Visionen, was sich ändern sollte. Es gibt nur ein paar kleine Baustellen. Im letzten Winter haben wir unsere Werkstatt umgebaut, größtenteils aus eigener Kraft. Das ist noch nicht abgeschlossen und wir hatten in diesem Jahr extrem mit Krankheitsfällen zu kämpfen, aber ich denke, das trifft überall zu. Mehr Normalität wäre schön. Ein bisschen mehr “business as usual”.


Vielen Dank.  




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Ist der Radverkehr in der Sackgasse? Was die Politik wirklich für die Verkehrswende tut…

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Böttcher - Von Wesseln in die Welt