Ist der Radverkehr in der Sackgasse? Was die Politik wirklich für die Verkehrswende tut…
ein Kommentar von Robert
Die Zukunft auf zwei Rädern – so oder ähnlich lauten viele politische Versprechen der letzten Jahre. Doch während Länder wie die Niederlande mit breiten Fahrradschnellwegen die Verkehrswende Wirklichkeit werden lassen, stockt der Ausbau der Radinfrastruktur in Deutschland. Förderungen werden gekürzt, Projekte geraten ins Hintertreffen und die politischen Mehrheiten schwenken um auf konservative Pfade. Was bleibt von der viel beschworenen Verkehrswende?
Ein Staat, zwei Realitäten
Münster ist ein Paradies für Radfahrer. Auf dem "Promenadenring", einer breiten Fahrradschnellstraße, rauschen täglich Tausende Berufspendler*innen, Studierende und Familien sicher durch die Stadt. Über 40 Prozent des Verkehrs entfallen hier auf das Rad – eine Quote, von der Berlin, München oder Dresden nur träumen können. Münster beweist, dass eine klare Priorisierung des Radverkehrs in Planung und Umsetzung enorme Effekte haben kann. Neben einer lückenlosen Infrastruktur spielen hier auch politische Konstanz und gesellschaftliche Akzeptanz eine entscheidende Rolle.
Doch nicht überall läuft es so rund. In Berlin wurden von den ursprünglich geplanten 100 Kilometern neuer Radwege im Jahr 2024 gerade einmal 16,7 Kilometer realisiert. Die ambitionierten Ziele des Berliner Mobilitätsgesetzes, das den Radverkehr eigentlich massiv fördern sollte, scheitern an einer Mischung aus politischem Unwillen, begrenzten finanziellen Mitteln und einem schleppenden Verwaltungsapparat. "Das ist keine Verkehrswende, das ist Stillstand", kommentiert Jens Hilgenberg vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND).
Der Haushalt 2024: ein Desaster für den Radverkehr
Das Sonderprogramm „Stadt und Land“, einst als Leuchtturmprojekt gefeiert, wurde im Bundeshaushalt 2024 auf 148 Millionen Euro zusammengestrichen – 45 Millionen weniger als im Vorjahr. Angela Kohls, Verkehrspolitik-Leiterin des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC), schlägt Alarm: „Die Kürzungen zeigen, dass die Politik dem Radverkehr nicht die Bedeutung beimisst, die nötig wäre, um die Klimaziele zu erreichen.“
Noch drastischer trifft es das Förderprogramm für Fahrradparkhäuser. Im Jahr 2023 mit 112 Millionen Euro ausgestattet, wurde es für die Jahre 2024 bis 2027 komplett gestrichen. Martin Wagener, Leiter der Infrastrukturplanung in Leipzig, nennt die Entscheidung "einen Schlag ins Gesicht der Pendlerinnen und Pendler". Tatsächlich könnte in Großstädten wie Leipzig oder Hamburg der Bau geplanter Parkhäuser an zentralen Bahnhöfen nun auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Dies ist nicht nur ein infrastrukturelles Problem, sondern auch ein verkehrspolitisches Signal: Radfahrer*innen werden erneut als Nebensache behandelt.
Neue Gesetzgebung: Hoffnungsschimmer oder Nebelkerze?
Immerhin gab es rechtlich Bewegung: Mit den diesjährigen Novellen des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) und der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) hat die Bundesregierung den Kommunen mehr Spielraum eingeräumt, Tempo-30-Zonen auszuweisen oder Radwege auf Hauptstraßen einzurichten. Gerade das Argument der Verkehrssicherheit könnte künftig einfacher gegen wirtschaftliche Interessen durchgesetzt werden. Dennoch bleibt die Umsetzung vielerorts hinter den Möglichkeiten zurück. "In vielen Städten traut sich die Politik schlicht nicht, den Autoverkehr zugunsten des Radverkehrs zu reduzieren", kritisiert Verkehrsplaner Stefan Hochgesang. Das liegt oft an politischem Gegenwind, aber auch an einem nicht zu unterschätzenden gesellschaftlichen Widerstand. Das Auto ist für viele Bürger*innen immer noch ein Statussymbol – und oft das bequemste Verkehrsmittel.
In Dresden etwa startete 2024 ein Verkehrsversuch mit einer autofreien Spur auf der stark befahrenen Bundesstraße 170. Der Widerstand kam prompt: Der neu gewählte Stadtrat forderte den Abbruch des Projekts, noch bevor es Ergebnisse liefern konnte. Dabei sind solche Pilotprojekte entscheidend, um neue Ansätze zu erproben und öffentliche Akzeptanz zu gewinnen. Ihr Scheitern wirft ein Licht darauf, wie schwer es die Verkehrswende in einer von der Autokultur geprägten Gesellschaft hat.
Was eine Koalition in Sachsen bedeuten könnte
Ein möglicher Richtungswechsel in Sachsen verdeutlicht, wie viel auf dem Spiel steht. Eine Koalition aus CDU, SPD und BSW würde den Radverkehr voraussichtlich in den Hintergrund drängen. Während die SPD traditionell den Ausbau des Nah- und Radverkehrs unterstützt, setzen CDU und BSW auf die Förderung des motorisierten Individualverkehrs. „Wir sind für pragmatische Lösungen, aber ideologische Vorhaben wie autofreie Innenstädte sind mit uns nicht zu machen“, so Sabine Zimmermann, Landesvorsitzende des BSW in Sachsen. Dies lässt befürchten, dass ambitionierte Pläne wie der Radschnellweg zwischen Leipzig und Halle entweder stark verzögert oder ganz aufgegeben werden.
Tempo 30 – mehr als ein Symbol?
Ein zentraler Baustein der Verkehrswende bleibt die Einführung von Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit innerorts. Die Initiative „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten“ zählt inzwischen über 1.000 unterstützende Kommunen. Doch auch hier zeigt sich: Der politische Wille zur Umsetzung ist oft begrenzt. Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Urbanistik scheitern viele Kommunen an bürokratischen Hürden und lokaler Opposition. Obwohl Tempo 30 nachweislich die Sicherheit erhöht und die Lebensqualität verbessert, bleibt die Einführung oft ein Kraftakt. Städte wie Freiburg oder Ulm, die Tempo-30-Zonen flächendeckend umsetzen konnten, zeigen jedoch, dass die Vorteile für die Bevölkerung derart überwiegen, dass anfängliche Widerstände schnell überwunden werden können.
Fazit: Viel Gerede, wenig Fortschritt
Deutschland hat sich ehrgeizige Ziele für die Verkehrswende gesetzt, doch der Weg dorthin ist steinig. Die Kürzungen der Fördermittel, die fehlende Prioritätensetzung und der schleppende Ausbau der Infrastruktur stehen im starken Kontrast zu den vollmundigen politischen Versprechen. Städte wie Münster und Freiburg beweisen, dass eine ernsthafte Förderung des Radverkehrs möglich ist – mit klaren Konzepten, ausreichenden Mitteln und einer konsistenten politischen Unterstützung.
Doch vielerorts bleibt der Radverkehr ein Stiefkind der Verkehrspolitik. Die Verkehrswende wird nicht allein durch symbolische Maßnahmen wie einzelne Tempo-30-Zonen erreicht, sondern durch mutige Investitionen und gesellschaftlichen Wandel. Die Politik steht dabei in der Verantwortung, klare Prioritäten zu setzen und nicht nur auf Wahlkampfbühnen von einer nachhaltigen Mobilität zu reden. Die Straße gehört allen – doch sie braucht mehr Platz für das Rad. Die Zeit der Ausreden ist vorbei!
Quellen:
stadt-muenster.de
rbb24.de
rad.sh
velototal.de
kommunal.de
n-tv.de
staedtetag.de