Wohin steuert der Radverkehr in Leipzig? Im Interview mit Sören Pellmann.
Wir treffen Sören Pellmann auf der Sachsenbrücke – direkt gewählter Bundestagsabgeordneter für Leipzig-Süd und Co-Vorsitzender der Gruppe Die Linke im Bundestag. Im Gespräch verrät er, warum Leipzig noch viel Potenzial als Fahrradstadt hat, welche politischen Herausforderungen den Radverkehr ausbremsen und welche Projekte dringend vorangetrieben werden müssen. Wie gelingt eine Verkehrswende, die alle mitnimmt? Und was braucht es, damit sich mehr Menschen sicher aufs Rad setzen? Jetzt im Interview!
Sören Pellmann im Gespräch über die Zukunft des Radverkehrs – Welche Herausforderungen und Chancen sieht der Bundestagsabgeordnete für Leipzig? Wir haben nachgefragt
Robert im Interview mit Sören Pellmann
Hallo Herr Pellmann, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Gespräch genommen haben. Bevor wir in die Details gehen, möchten wir zunächst verstehen, wie Sie persönlich zum Thema Radverkehr stehen. Wie sieht Ihr persönliches Mobilitätsverhalten aus? Nutzen Sie selbst das Fahrrad und wenn ja, welche Erfahrungen machen Sie damit in Leipzig?
Als Stadtrat und Bundestagsabgeordneter bin ich faktisch ständig unterwegs. Dabei nutze ich hauptsächlich die Straßenbahn und den Zug. Auf meinem Fahrrad sitze ich meist nur in der knapp bemessenen Freizeit. Die Seenlandschaft im Süden von Leipzig ist dabei ein gern besuchtes Ausflugsziel von mir und meiner Frau. Aber auch in andere Ecken wie den Auwald komme ich gelegentlich.
Politische Entwicklungen und Auswirkungen auf den Radverkehr
Welche politischen Entscheidungen oder Entwicklungen, die den Radverkehr betreffen könnten, erwarten Sie in den kommenden Jahren auf Landesebene?
Derzeit haben wir nicht einmal eine Regierung in Sachsen. Deswegen kann ich diesbezüglich nur mutmaßen. Angesichts der Mehrheitsverhältnisse und der extrem angespannten Haushaltssituation gehe ich aber davon aus, dass dem Radverkehr wenig bis gar keine Priorität eingeräumt wird. Auch in der letzten Regierung mussten wir feststellen, dass es im SPD-geführten Ministerium immer an Planungskapazitäten gefehlt hat und die Bilanz letztendlich landesweit sehr mager ausfiel.
Mit welchen Herausforderungen oder Konflikten rechnen Sie hierbei?
Wenn Michael Kretschmer für Mehrheiten eher nach rechts schielen sollte, erwarte ich für den Radverkehr im Freistaat nicht viel Gutes.
Wie könnten diese Entwicklungen konkret den Radverkehr und die Infrastruktur in Leipzig beeinflussen?
Die schwierige Haushaltslage auf Landesebene und die unklare politische Gesamtsituation betreffen unsere Stadt natürlich unmittelbar. Bisher sind wir in Leipzig vorangegangen, was den Radverkehr betrifft und konnten in Sachsen eine Pionierrolle einnehmen. Verkehrspolitisch wird es aber auch bei uns schwieriger, weil wir mit CDU, AfD und BSW drei Fraktionen im Rat haben, die erklärtermaßen kein Interesse am Ausbau des Radverkehrs haben oder ihn teilweise am liebsten wieder von der Straße bekommen möchten. Um jeden Beschluss muss also auch im Leipziger Stadtrat hart gerungen werden. Von Landesseite wird das vermutlich ähnlich aussehen und dazu kommt – wie schon erwähnt – die angespannte Haushaltssituation. Ohne die notwendigen Investitionen wird es schwierig, den Radverkehr aktiv auszubauen. Zuletzt haben wir im Stadtrat gesehen, wie selbst bei langfristig geplanten Umbaumaßnahmen die Synergieeffekte für einen besseren Radverkehr wieder infrage gestellt werden. Hier müssen wir in Leipzig zukünftig noch intensiver um die notwendigen Mehrheiten ringen. Bei der Entscheidung zur Prager Straße mussten wir uns z. B. vorerst gegen den Radweg auf der Straße entscheiden, da sonst das ganze Projekt der Ausweitung der Straßenbahnschienen gefährdet gewesen wäre. Die Verkehrsbehörde braucht aber auch nicht für jede Maßnahme einen Beschluss, sondern in erster Linie die Ressourcen, um für mehr Sicherheit auf den Straßen zu sorgen. Veränderte Mehrheiten bedeuten also nicht das Ende der Verkehrssicherheit.
Status quo und dringende Projekte
Wie bewerten Sie den aktuellen Zustand des Radverkehrs in Leipzig?
Kurz gesagt: ausbaufähig. Leipzig hat als flache Stadt das Potenzial, eine attraktive Fahrradstadt zu werden, doch dieses Potenzial ist längst nicht ausgeschöpft. Der Radverkehr könnte noch für viel mehr Menschen eine echte Alternative sein, wenn er bequemer und sicherer gestaltet wird. Es hat sich aber in den letzten Jahren auch schon viel getan und wir haben uns mit der Mobilitätsstrategie und dem Radverkehrsentwicklungsplan verpflichtet, weiter daran zu arbeiten.
Welche Schwachstellen sehen Sie in der bisherigen Planung und Umsetzung?
Wir haben bisher keine Schnellstrecken, auf denen man ähnlich wie mit dem Auto oder dem ÖPNV zügig ans andere Ende der Stadt kommt. An vielen Stellen ist der Radverkehr auch nicht sicher genug vom Pkw-Verkehr oder vom Fußverkehr getrennt. Leipzig wurde, wie auch alle anderen Städte, auf die Bedürfnisse des Pkw-Verkehrs ausgerichtet. Den Verkehrsraum gerechter aufzuteilen, erfordert nicht nur Zeit und finanzielle Ressourcen, sondern auch ein echtes Umdenken. Neben den oben genannten Punkten fehlen auch noch sichere Abstellmöglichkeiten für Fahrräder, besonders an den S-Bahnhöfen für den Pendlerverkehr, analog zu den Park-and-Ride-Plätzen. Im Stadtrat haben wir daher einen Antrag zu einem Modellprojekt für Radboxen eingebracht, die – wie in Hamburg – in Wohngebieten platziert werden können, damit die Radfahrer*innen eine wetterfeste und diebstahlsichere Abstellmöglichkeit haben, ohne ihr Rad mühevoll in die Wohnung tragen zu müssen. Zuletzt haben wir außerdem auf Anraten der Eltern der unlängst am Leuschnerplatz von einem Lkw überfahrenen Radfahrerin einen Antrag zu Sicherheitsmaßnahmen, beispielsweise zur Veränderung der Ampelschaltungen, auf der Karli eingereicht. Dieser Antrag wurde von der CDU als vermeintlich ideologisch abgetan; hierbei sei betont, dass diese Maßnahmen keinen einzigen Parkplatz gekostet hätten.
Welche Projekte im Bereich Radverkehr sollten Ihrer Meinung nach in Leipzig schneller umgesetzt werden?
Wir brauchen dringend den Ausbau der Strecken an den Stadtrand: nach Markkleeberg, Schkeuditz, Liebertwolkwitz usw. Zum Radverkehrsentwicklungsplan haben wir deren Priorisierung in einen Änderungsantrag gegossen. Hier muss es vorangehen. Genauso beim Bikesharing, das auch in den äußeren Ortsteilen besser ausgebaut und um Lasten- und E-Räder erweitert werden muss.
Wo liegt aus Ihrer Sicht der größte Handlungsbedarf?
Wir müssen für mehr Sicherheit im Radverkehr sorgen. In den zurückliegenden Jahren gab es leider kein Jahr in Leipzig ohne getötete Radfahrende. Diese schrecklichen Unfälle zu verhindern, wird allerdings bei den oft ideologisch verfestigten Meinungen sehr schwer.
“Der Radverkehr muss inklusiver werden, damit sich Menschen aller Altersgruppen, mit und ohne körperlichen Einschränkungen, fürs Rad entscheiden können.”
Die Perspektive der Linken
Mit welchem Ansatz möchte Die Linke die Radverkehrsförderung gestalten?
Für viele Menschen ist das Rad schon lange das, was für viele das Auto ist – ein Verkehrsmittel und kein Hobby. Diesem Anspruch muss die Verkehrsplanung der Stadt genügen. Sicherheit muss dabei immer an oberster Stelle stehen. Dazu werden auch mehr Tempo-30-Abschnitte gehören, wenngleich das vielen wehtut. Wir haben einen Antrag für mehr Tempo-30-Abschnitte im Verfahren und wollen die Möglichkeiten nutzen, die uns die diesjährige StVO-Novelle gibt. Der Radverkehr muss auch inklusiver werden, damit sich Menschen aller Altersgruppen, mit und ohne körperlichen Einschränkungen, fürs Rad entscheiden können, wenn die Bedingungen gegeben sind.
Wie unterscheidet sich Ihr Ansatz von anderen politischen Strömungen?
Wir sagen immer: Ein Radweg ist noch keine Verkehrswende. Für uns steht da der ÖPNV im Mittelpunkt. Aber auch in Bezug auf den Radverkehr gehört mehr dazu – ein ganzheitlich geplantes Netz mit entsprechender Infrastruktur, Förderung von angrenzenden Angeboten im ÖPNV, damit auch das Pendeln mit der Kombination aus Bahn/Bus und Fahrrad attraktiv ist. Ganz wichtig für mich: Inklusion. Wir haben im Stadtrat ein Verleihsystem von E-Rollstuhlfahrrädern durchgesetzt, damit auch mobilitätseingeschränkte Menschen am Radverkehr teilhaben können. Wir warten noch auf die Umsetzung, aber es ist uns immer ein Anliegen, bei der Verkehrswende alle Menschen mitzunehmen. Ich würde mir hier auch mehr Sensibilisierung – durch Kampagnen oder in der Schule – wünschen, da es leider auch im Radverkehr immer wieder Leute gibt, die mit unachtsamen Fahrweisen andere in Gefahr bringen.
Wie stellt sich die Leipziger Linke die Entwicklung des Radverkehrs in den nächsten Jahren vor?
Wie in Amsterdam oder Kopenhagen (lacht). Im Ernst: Neben einem rundum gut ausgebauten Radnetz durch die ganze Stadt gehören auch weitere Voraussetzungen zur Infrastruktur: mehr Luftpumpen und Ladesäulen für E-Fahrräder an öffentlichen Plätzen und Verkehrsknoten, ein zuverlässiger Winterdienst auf den Radwegen, Haltegriffe und Trittbretter an Ampeln, sichere Abstellmöglichkeiten, Grünpfeile zum Rechtsabbiegen usw. Die konsequente Entflechtung von Fuß- und Radverkehr ist auch ein wichtiges Thema. Wenn mehr Leute auf das Rad steigen, was wir grundsätzlich begrüßen, darf der Fußverkehr nicht darunter leiden. Wir haben mehrere Strecken in der Stadt, auf denen die gemeinsame Nutzung zu Konflikten führt.
Welche konkreten Maßnahmen oder Meilensteine würden Sie sich bis 2030 wünschen?
Der Radschnellweg Halle-Leipzig muss endlich kommen. Er ist schon lange in Planung. Wir haben auch den Prüfauftrag eingebracht, ob dieser teilweise mit Solarpanels überdacht werden kann – also noch zusätzlich Strom erzeugt, wie es das auch in Freiburg gibt. Ich kann mir vorstellen, dass diese Strecke in den warmen Jahreszeiten tatsächlich von vielen genutzt werden kann, auch hier ist die Vereinbarkeit mit der S-Bahn sehr wichtig, damit Pendler*innen flexibel und kurzfristig entscheiden können, wie sie die Strecke zurücklegen wollen. Wir brauchen noch mehr sicheren, baulich getrennten Radverkehr an den Hauptstraßen – wir wollen keine Verlegung des Radverkehrs in die Nebenstraßen, wie es die CDU immer fordert, weil auch Radfahrer*innen den kürzesten Weg wählen, im Zweifelsfall jenen, der von den Navigationsdiensten angezeigt wird.
Die Botschaft
Was möchten Sie den Leser*innen des WE RIDE LEIPZIG-Magazins mit auf den Weg geben, wenn es um die Zukunft des Radverkehrs geht?
Wir bleiben dran und lassen keine Rückschritte bei dem Thema zu. Radverkehr ist ein wichtiger Beitrag zur Verkehrswende. Dies kann aber nur gelingen, wenn alle mitgenommen werden. Was ich allen Verkehrsteilnehmenden immer rate: einen Perspektivwechsel vornehmen und jeweils aus Sicht von Fußgänger*innen, Bahnfahrenden und Autofahrer*innen darauf achten, dass alle gut ans Ziel kommen können. Außerdem wünsche ich mir weniger ideologisch und emotional aufgeheizte Debatten zum Thema Verkehrswende. Diese ist ja kein Selbstzweck, denn ohne eine Verkehrswende wird es keine sozial-ökologische Transformation geben.
Vielen Dank.