„Das Blech muss von der Straße verschwinden”
Von Velorouten bis Tempo 30 – Dortmund setzt auf nachhaltige Veränderungen im Verkehrswesen. Andreas Meißner leitet die Mobilitätsplanung der Stadt. Wir wollten von ihm wissen, wie Dortmund die Fahrradmobilität vorantreibt. Was sind seine Visionen für eine lebenswerte Stadt? Und vor allem: Ist die Metropole auf dem Weg zur Fahrradstadt?
Robert im Interview mit Andreas Meißner, Leiter der Mobilitätsplanung bei der Stadt Dortmund
Hallo Herr Meißner, Sie sind der Leiter der Mobilitätsplanung bei der Stadt Dortmund. In welchem Teil der Dortmunder Verwaltungsstruktur findet sich ihre Stelle wieder?
Das ist ein Geschäftsbereich des Stadtplanungs- und Bauordnungsamtes. Dort bin ich insgesamt schon seit 22 Jahren tätig und in leitender Funktion seit anderthalb Jahren. Ich habe davor das Projekt “Emissionsfreie Innenstadt” für knapp 3,5 Jahre geleitet.
Können Sie die Mobilitätsplanung im Bereich Fahrrad in einer sichtbar autogerechten Stadt einordnen?
Das Fahrrad bekommt in Dortmund nicht nur in den Zielen der Stadt, sondern auch im Handeln eine deutlich größere Bedeutung als bis vor einigen Jahren. Wir haben einen Masterplan Mobilität aufgestellt und unter anderem als Teilkonzept eine Radverkehrsstrategie entwickelt. Der Radverkehrsanteil, den wir in Dortmund zurzeit an allen Wegen haben, liegt bei zehn Prozent. Den wollen wir bis 2030 auf 20 Prozent steigern. Das halte ich für sehr ambitioniert, aber nicht für unmöglich. Gesamtstädtisch hatte Dortmund in der letzten Mobilitätsbefragung 2019 einen Radverkehrsanteil von 10 Prozent an allen Wegen. In den innerstädtischen Bezirken erreichen wir aber bereits jetzt Anteile von 20 Prozent. Dies liegt an der Dichte der zu erreichenden Ziele und dass das Fahrrad hier große Zeitvorteile gegenüber den anderen Verkehrsmitteln hat. Dass der Radverkehr generell zunimmt, ist auch bereits feststellbar. Die Verbesserung der Radverkehrs-Infrastruktur und die Corona-Pandemie haben sicherlich auch dazu beigetragen. Dortmund ist allerdings keine klassische Radverkehrs-Hochburg. Insgesamt hat Dortmund dennoch großes Potenzial.
Sie sprechen von einem sehr ambitionierten Ziel und einer Stadt mit großem Potenzial – wie sieht es über die Innenstadt hinaus aus?
Es gibt natürlich noch Defizite in den Außenstadtbezirken. Wir haben ein sehr polyzentrisches Städtesystem und wollen mit den neuen Velorouten gerade die Außenstadtbezirke enger mit der Innenstadt verbinden. All das fließt am Wallring zusammen.
Das klingt dann schon eher nach einer umfassenden Planung oder gar nach einem Netzaufbau?
Genau, es gibt ein Zielnetz, was auch mit der Radverkehrsstrategie beschlossen worden ist. Das soll sukzessive und schwerpunktbezogen umgesetzt werden. An erster Stelle sind hier die 82 Kilometer Velorouten und der Radschnellweg RS1 zu nennen. Dies sind die wesentlichen Infrastrukturmaßnahmen, um ein Radverkehrsnetz in hoher Qualität zu schaffen.
Wie weit sind Sie mit der Umsetzung der Velorouten?
Das ist aktuell noch in Planung. Der Rat hat erst im letzten Jahr das Zielkonzept beschlossen. Wir bauen dafür jetzt ein sogenanntes Verkehrswende-Büro auf, in dem unter anderem die Velorouten realisiert werden sollen. Wir haben jetzt jede Veloroute in der Linie konkretisiert, dann zur Beschlussfassung gebracht und steigen jetzt in die konkrete Planung ein. Das betrifft den Ausbau und den Umbau. Ziel ist es, diese Velorouten über Nebenstraßen zu führen, hauptsächlich als Fahrradstraßen, weil wir damit im Förderprojekt "emissionsfreie Innenstadt" sehr gute Erfahrungen gemacht haben. Die Menschen nehmen das gerne an, weil sie sich dort sicher fühlen und ihnen entsprechend Raum gegeben wird. Gleichzeitig ist es für uns schneller umsetzbar, weil wir nicht so einen hohen baulichen Aufwand haben.
Was muss passieren, damit so eine Nebenroute, die dann für den Pendelverkehr bestimmt ist, von den Radfahrenden wahrgenommen wird?
Es ist immer ein Kompromiss. Natürlich sollen sie möglichst die direkten Routen realisieren, aber zusätzlich zu der eigentlichen Linienführung ist es natürlich wichtig, den Radverkehr zum Beispiel an Signalanlagen zu bevorrechtigen. Das bedeutet, Wartezeiten und auch Störungen zu verringern. Zum Beispiel in der Nebenroute, der Fahrradstraße, muss das Parken reduziert werden, damit ich sicher fahren kann und nicht das Gefühl habe, dass gleich eine Autotür aufgeht und ich gefährdet bin. All diese Dinge tragen natürlich dazu bei, dass der Radfahrer dort gerne fährt. Nur wenn ich das Gefühl habe, die Nebenroute macht mich eigentlich langsamer, weil ich am Ende der Straße vor einer Ampel stehe, während ich auf meiner Hauptstraße als Radfahrer eine grüne Welle habe, dann nützt mir die Nebenroute nichts. Das muss natürlich optimiert und angepasst werden.
Auf Seiten der Infrastruktur wird sich also jede Menge tun und hoffentlich die Menschen zum Umsteigen bewegen. Ist die Bereitschaft dafür in der Bevölkerung vorhanden?
Ja, wir stellen natürlich fest, dass die Bedingungen noch nicht optimal sind. Viele fühlen sich nicht sicher. Es gibt Lücken im Radverkehrsnetz. Es fehlt vielleicht eine gesicherte Abstellanlage am ÖPNV. Diese Dinge müssen wir verbessern, damit wir auch Menschen aufs Rad bekommen, die heute noch nicht Fahrrad fahren. Die Siedlungsstruktur und die Topografie in Dortmund sind eigentlich gut, um Fahrrad zu fahren. Wir haben natürlich im Dortmunder Süden ein paar Steigungen zu überwinden, aber mit der Verbreitung von Pedelecs und E-Bikes ist das zukünftig eher weniger ein Problem.
Wir sind allerdings noch auf ein anderes Problem in Dortmund gestoßen: Das Thema Parken von Pkws und die damit genutzte Fläche. Ein scheinbar unlösbares Problem…
Nein, gar nicht. Wir sind bereit, daran etwas zu ändern. Wir haben zusätzlich zu der Radverkehrsstrategie "Masterplan Mobilität" auch eine Strategie für den öffentlichen Raum und eine Strategie für den Parkraum erarbeitet und vom Stadtrat beschließen lassen. Als erste Maßnahme hat der Stadtrat umgesetzt, dass die Parkgebühren angehoben werden: zum 1.8. auf 2,50 Euro pro Stunde. Wir haben beim Umbau des Ostwalls 220 Stellplätze reduziert. Sukzessive muss das Parken im öffentlichen Raum zurückgehen, weil wir den Raum brauchen für den Radverkehr. Aber eben auch für den Fußverkehr, zum Aufenthalt, zur Begrünung und weil wir uns an die Folgen des Klimawandels anpassen müssen. All das benötigt Raum und da muss das Blech aus der Straße verschwinden.
Das sind recht viele Dinge, die Sie gerade so aufgezählt haben. Wo setzen Sie gerade den Fokus?
Ich habe natürlich ein Team bzw. eine Abteilung mit insgesamt rund 35 Leuten, die bei dem ganzen Thema Mobilitätsplanung und Mobilitätsentwicklung in dieser Stadt arbeiten. Der Fokus ist sicherlich gerade das Thema Velorouten. Da stecken wir sehr viel Energie rein, auch der Weiterbau des RS1 wird vorangetrieben. Wir dehnen zum Beispiel auch die Bewohner*innenparkzonen aus. So setzen wir uns dafür ein, dass Menschen, die außerhalb der Innenstadt parken und glauben, sie könnten dies kostenlos tun, eine andere Lösung finden müssen.
Haben Sie das Planungsverfahren beschleunigt oder verändert, um schneller sichtbare Fortschritte auf der Straße zu erkennen?
Wir haben im Rahmen des Baus des Radwalls gelernt, dass wir Planung und Bau enger miteinander verzahnen müssen. Dass der Bauleiter idealerweise schon bei der Entwurfsplanung mit dabei ist, um auf bestimmte Fehler und Mängel in der Planung hinzuweisen, und diesen Prozess am Ende beschleunigt. Das haben wir aufgegriffen und bauen ein neues Verkehrswendebüro auf. Dort arbeiten wir von der Mobilitätsplanung mit den Kolleg*innen vom Tiefbauamt ganz eng zusammen, um unsere Entwurfsplanung schneller in Ausführungsplanung und schließlich in Bau bringen zu können. Es soll also möglichst keine Zeitverluste geben. Wir hatten Fälle, in denen Planungen zehn bis 15 Jahre dauerten – und dann fängt das Tiefbauamt erst mit der Ausführungsplanung an. Das hat aber nichts mehr mit dem zu tun, was wir uns vor zehn Jahren mal überlegt hatten. Richtlinien und politische Zielsetzungen haben sich geändert. Deshalb wollen wir das enger miteinander verzahnen, und dafür ist der Aufbau des Verkehrswendebüros gedacht. Da sind wir aktuell noch dabei, Personalstellen zu sichern.
Befindet sich denn aktuell ein Projekt in der Umsetzung und welches visionäre Projekt verfolgen Sie?
Ja, wir bauen gerade den sogenannten Bananenradweg weiter. Der heißt so, weil er die Form einer Banane hat. Diese Strecke führt in der Innenstadt-Ost lang. Da gibt es einen weiteren Abschnitt, der zur Zeit vom Grünflächenamt realisiert und noch dieses Jahr fertig wird.
Laut ADFC-Fahrradklimatest schneidet Dortmund im Bereich Verkehrssicherheit für Radfahrende weniger gut ab. Sie haben sich der Initiative “lebenswerte Städte” angeschlossen. Eine Kernforderung ist Tempo-30. Wie stehen Sie zu diesem Thema?
Deswegen haben wir uns auch der Initiative angeschlossen, damit wir Kommunen einfach mehr Entscheidungsfreiheit bekommen, die uns heute durch die StVO nicht gegeben sind. Wir sind dabei, über den Hebel “Lärmschutz” mehr Tempo 30 zu realisieren. Die ersten Straßenabschnitte kommen jetzt. Eine Bundesstraße wie die B1 würden wir jetzt nicht auf Tempo 30 reduzieren, obwohl es eine Ortsdurchfahrt ist. Am Ende brauchen wir weiterhin ein Tempo 50-Netz, das allerdings zukünftig sehr reduziert werden muss.
Vielen Dank.