Auf eine Ausfahrt mit den RSL Feministas
Es ist ein grauer Montag, kurz vor 18 Uhr stehen wir vor dem Gelände des Roten Sterns in Connewitz. Eigentlich bin ich nur für ein Interview gekommen, habe mich aber spontan dazu entschlossen, die geplanten 48 Kilometer mitzufahren. Nach und nach trudeln immer mehr Menschen ein, einige Alteingesessene, ein paar neue Gesichter, darunter auch ich. Bevor es losgeht, stellt sich jede Mitfahrer*in vor, es wird erklärt, wo die Route lang führt und es werden Handzeichen erläutert, um sich vor möglichen Hindernissen und bei Richtungswechseln warnen zu können. Ganz besonders wird betont, dass man keine Scham haben soll, “Kürzer” zu rufen, wenn das Tempo zu hoch ist. Aus gemeinsamer Lust und Laune heraus legen wir nach der Hälfte der Strecke eine Eispause ein, wir fahren durch kleine Dörfer rund um Leipzig, ein letztes Stück am Cospudener See vorbei, um am Ende gemeinsam bei einer Limo vor dem Späti Lazy Dog zu quatschen. Die Ausfahrt war so schön, dass ich zwischenzeitlich fast vergessen habe, dass ich zum Arbeiten da bin.
Zoe im Gespräch mit den RSL Feministas
Hallo, könnt ihr kurz zusammenfassen, wer ihr seid und was wir hier heute machen bzw. gemacht haben?
Wir sind die RSL Feministas – kurz: Wir fahren Fahrrad. Wir sind ein Teil der Radsportgruppe des Roten Sterns Leipzig. Uns gibt es jetzt schon über zwei Jahre und wir fahren gemeinsam Rad, meistens montags, wenn wir es schaffen. Manchmal kommt das Wetter dazwischen und manchmal das Leben, dann fahren wir nicht. Wir haben uns gegründet, weil wir gemerkt haben, dass es große Hürden gibt, in den gemischten Gruppen mitzufahren, weil Typen anders Rad fahren: weniger rücksichtsvoll und ohne aufeinander zu warten… und das ist gerade für Anfänger*innen total schwierig. Dafür braucht es Safer Spaces für marginalisierte Menschen, in diesem Fall Frauen, intergeschlechtliche, nicht-binäre, trans und Agender-Personen. Diesen Space versuchen wir zu schaffen und besetzen damit auch Deutungsräume für FLINTA*. Wir wollen diese Gruppe nicht nur innerhalb der Vereinsstruktur sicht- und hörbar machen und den Diskurs in der Gesellschaft und auf dem Rad mitbestimmen. Da haben wir dann diese Lücke gesehen und uns gedacht, dass wir die füllen können und wollen – hier sind wir.
Waren einige von euch vorher schon beim Roten Stern aktiv?
Ja, genau. Als wir angefangen haben, gab es wirklich wenig FLINTA*-Personen, die beim Roten Stern mitgefahren sind, obwohl es in Leipzig viele FLINTA*-Personen gibt, die Rad fahren. Unser Wunsch ist es, mehr FLINTA*s bei uns im Verein zu haben bzw. den Raum zu öffnen, weil das Vereinsleben cool ist und sehr schön sein kann. Deswegen wollten wir diesen Safer Space schaffen und das haben wir auch ganz gut hinbekommen: Als wir angefangen haben, waren wir zu dritt und mittlerweile haben wir elf volle Mitglieder und noch einige Personen, die ab und zu mitfahren, aber nicht im Verein tätig sind. Also eine ganz gute Quote.
Warum braucht es eurer Meinung nach so etwas wie einen Safer Space? In eurem Namen steckt das Wort Feministas, das heißt, es hat auf jeden Fall eine politische Komponente, dass ihr euch zusammenfindet.
Aus eigener Erfahrung haben wir uns in gemischten Gruppen oft nicht so richtig wohl gefühlt, weil wenig bis gar keine Rücksicht auf Bedürfnisse genommen wurde – und das ist schade. Und wie in jedem Sport kommen natürlich Fragen auf und in einer FLINTA*-Runde kann es einfacher sein, Dinge anzusprechen, also zum Beispiel wie die Radhose zu sitzen hat. Sitzen ist generell ein wichtiges Thema beim Radsport – und Typen haben da andere Themen als FLINTA*, also nicht ausschließlich natürlich, aber trotzdem kann es schwierig sein, sich auszutauschen. Das gilt zum Beispiel auch für technische Fragen. Natürlich kann man immer in den Radladen gehen, aber da gibt es ja doch auch einige, bei denen man erstmal einen komischen Blick erntet, wenn man irgendetwas noch nicht weiß. Solche Orte gibt es ja leider genügend. Das heißt, wir wollen auch einen sichereren Raum bieten, um Fragen stellen und lernen zu können. Was den politischen Anspruch betrifft, hat sich, seit es uns gibt, auch in der gemischten Radsportgruppe einiges verändert, weil wir für Themen sensibilisieren, wie beispielsweise solidarisch zu fahren, aufeinander achtzugeben, uns gegenseitig zu helfen und zu schauen, dass die Gruppe zusammen bleibt. Das ist im Verein auch immer wieder Thema, nicht zuletzt durch uns vorangetrieben. Mittlerweile gibt es auch einige Typen, die aware sind – und das ist auf jeden Fall auch ein Anspruch von uns im Verein.
“Wie wir miteinander fahren, spiegelt wider, wie wir gesellschaftlich miteinander umgehen wollen: nämlich solidarisch.”
Seht ihr allgemeine Hürden für den Einstieg in den Radsport. Fahren einige von euch bei Wettkämpfen mit?
Wettkämpfe in unseren Kreisen eher nicht, selbst organisierte Rennen dagegen teilweise schon. Aber das Sprungbrett wäre auf jeden Fall da und wir würden es natürlich auch unterstützen, wenn jemand von uns sich auf einen professionellen Weg begeben möchte. Oft sind die Veranstaltungen allerdings problematisch. Vor ein paar Jahren ist eine Person von uns mal beim neuseenclassics mitgefahren – aber auf den Werbebildern aus den Jahren fällt immer wieder stark auf, dass fast nur Typen zu sehen sind – das trägt natürlich dazu bei, dass eine Hemmschwelle entsteht. Weil FLINTA*-Personen sich dann, unserer Erfahrung nach, länger überlegen, ob sie dort wirklich mitfahren wollen. Oft sind die Plätze dann auch begrenzt. Also die Rahmenbedingungen sind nicht wirklich niederschwellig. Das Schöne aber ist, dass wir durch diese Gruppe hier auch den Zugang zu FLINTA*-freundlichen Veranstaltungen bekommen, die wir vorher gar nicht kannten. Vieles hat sich zwar auch erst in den letzten Jahren entwickelt, aber trotzdem ist es sehr schön, diese Verbindungen entstehen zu sehen.
Mir ist aufgefallen, dass ihr größtenteils mit “ganz normalen” Rennrädern hier seid, es herrscht nicht so eine Materialschlacht, wie ich das oft bei Männergruppen zum Beispiel am Cossi wahrnehme.
Das ist uns schon wichtig. Wir haben natürlich den Anspruch, sportlich zu fahren – bzw. die Mitte zu finden zwischen solidarisch, sodass alle mitkommen, und trotzdem einen Sport zu betreiben und nicht nur die Bummelrunde um den See anzubieten, um das mal despektierlich zu sagen. Aber es geht hier nicht darum, wer das beste Equipment hat. Einen Helm sowie Licht und Bremsen sollte man haben. Sicherlich schreibt auch bei anderen Fahrrad-Veranstaltungen niemand irgendwo hin: “Du brauchst dieses und jenes teure Fahrrad, um bei uns mitfahren zu dürfen.” Aber du hast schon recht, oft ergibt sich das einfach über Bilder, wenn man da die 10.000-Euro-Räder sieht und sich nicht traut, mit dem eigenen klapprigen Rennrad dahin zu gehen, und dann lieber zuhause bleibt. Es ist leider so, dass Radsport, egal wie alt oder neu das Rennrad ist, erstmal Geld kostet. Da braucht es dann nicht noch andere Hürden.
Wenn ich bei euch mitfahren möchte, euch aber noch gar nicht kenne, wie kann ich euch finden und was muss ich mitbringen?
Die meisten finden uns über Instagram, da sind wir mehr oder weniger aktiv. Es gibt bei Facebook auch eine Gruppe, in der die Termine der Ausfahrten von verschiedenen Gruppen aufgelistet sind. Alternativ natürlich einfach über Online-Suchmaschinen. Also wenn man gezielt nach Rennradfahren speziell für Frauen oder FLINTA* sucht, dann findet man uns recht schnell. Allgemein findet man uns mittwochs um 18 Uhr an der Teichstraße, denn die Idee ist auch, einfach einen Treffpunkt anzubieten, zu dem mankommen kann. Wir gehen alle zwangsläufig in irgendeiner Form einer Erwerbstätigkeit nach, wir haben ein Leben, vielleicht Familie, das heißt, es kommt auch mal was dazwischen, weshalb es nicht immer eine geführte Ausfahrt gibt. Auch wenn man nicht in unserem Gruppenchat ist, kann man montags kommen, vielleicht neue Menschen treffen und einfach gemeinsam eine Runde um den See drehen.
“Es ist leider so, dass Radsport, egal wie alt oder neu das Rennrad ist, erstmal Geld kostet. Da braucht es dann nicht noch andere Hürden.”
Jetzt kommt noch die obligatorische Frage: Warum FLINTA* und nicht einfach nur eine Frauengruppe? Warum ist euch das wichtig?
Das passt gut zu der Frage von vorhin, warum das Ganze hier so einen politischen Rahmen hat: Das ergibt sich so ein bisschen. Also wie wir miteinander fahren, spiegelt wider, wie wir gesellschaftlich miteinander umgehen wollen: nämlich solidarisch. Heruntergebrochen heißt das, dass wir darauf achten, dass alle mitkommen, dass Menschen sich wohl und sicher fühlen und alle die gleichen Chancen bekommen. Das ist so oder so ähnlich sicherlich auch von allen hier der Grundsatz für das eigene Leben. Deshalb ist der Rote Stern, welcher ja das große Banner des Antifaschismus trägt – und zu Recht auch trägt –, eine sehr wichtige Anlaufstelle. Denn es ist schließlich unsere Freizeit, die wir hier verbringen – und die wollen wir im besten Falle mit Menschen verbringen, die ähnliche Grundwerte teilen. Die Chance, dass es Leute gibt, die antifaschistisch und blöd sind, existiert trotzdem, aber die Chance, dass man unter Antifaschist*innen auf viele coole Leute trifft, ist größer. Feminismus ist auch politisch und hat viele Schnittstellen zum Antifaschismus – und deswegen ergibt sich das alles so auseinander. Der Zusatz FLINTA* bedeutet ganz einfach, dass es nicht nur Frauen und Männer gibt, sondern noch ganz viel dazwischen und außerhalb – so wie verschiedene Lebensentwürfe. Wir wollten den Raum für Menschen öffnen, die sich als nicht cis-männlich begreifen, weil es dafür schon genügend Gruppen gibt. Wir tragen das auch explizit nach außen, um das Thema sichtbar zu machen. In der Gesellschaft, aber eben auch im Radsport. Weil das gerade im Radsport-Kontext für viele Leute noch echt weit weg zu sein scheint. Feministische Kämpfe werden eben nicht nur von Cis-Frauen geführt, sondern vor allem von FLINTA* – leider wird das oft in den Hintergrund gerückt und ihre Arbeit unsichtbar gemacht.
Habt ihr noch andere Projekte, die ihr gemeinsam betreibt, oder vielleicht Ideen für die Zukunft?
Wir fahren nicht nur zu den Ausfahrten zusammen Rad, sondern auch am Wochenende oder auch mal nur zu zweit, weil sich hier ja auch Freund*innenschaften entwickeln. Darüber hinaus machen wir Aktionen zum feministischen Kampftag am 8. März. Vorher veranstalten wir jedes Jahr einen “Fix your bike”-Tag mit offener Werkstatt bei uns auf dem Gelände – angedacht, damit man sicher beim Purple Ride mitfahren kann, dem Fahrradzubringer zur Demo am 8. März, aber auch einfach als offene Werkstatt, bei der wir bei Fragen helfen können. Wir können nicht alles vor Ort reparieren, aber es hilft oft schon, wenn man gemeinsam herausfindet, wo das Problem liegt, damit man dann in den Fahrradladen gehen kann und vielleicht schon ein bisschen Bescheid weiß und sich keinen blöden Kommentar einfängt. Wir wollen Menschen gestärkt in die Fahrradwelt schicken. Einmal im Jahr fahren wir auch für eine Woche in ein Trainingslager bzw. Trainingslago – der Ort liegt nämlich am Gardasee. Das machen wir gemeinsam mit der Radsportgruppe, da sind wir als Feministas explizit mit dabei. Ansonsten unterstützen wir auch manchmal Veranstaltungen hier in Leipzig und Umgebung. Wir waren aber zum Beispiel auch gemeinsam in Nordrhein-Westfalen bei einem viertägigen Rennen. Das war sehr schön und auch gut für den Team-Spirit. Aber wie schon gesagt, alles passiert in einem entspannten Rahmen, ohne diesen Mackertum-Anspruch, sich die ganze Zeit messen zu müssen. Die gute Zeit steht bei uns im Vordergrund. Was an der Gruppendynamik auch sehr schön ist: Wenn jemand mal was ausprobieren möchte, also zum Beispiel gern einen Overnighter fahren will, aber kein Zelt oder andere Ausrüstung hat, dann können wir uns untereinander einfach Sachen leihen. Das ganze Equipment ist ja super teuer. Das kann und muss man sich nicht leisten können. Denn diese Gruppe und die Verbindungen, die sich hier entwickelt haben, öffnen für Menschen ganz viele Türen, um Dinge auszuprobieren. Es ist super toll, diese Community zu haben, weil man merkt, dass wir alle an einem Strang ziehen und dasselbe für alle wollen.
Vielen Dank.