Baumkuchen und das Superwahljahr 2024

Bei einem Tässchen Kaffee und hausgemachten Baumkuchenspitzen im Café Corso lässt es sich doch am besten über das kommende Wahljahr sprechen. Wir sind im Jahr 2023 mit unseren WE RIDE-Magazinen viel durch Sachsen gereist und wissen um die wichtige Landtagswahl 2024 – vor der es uns gleichzeitig auch graut. Die Wahlumfrage von November und Dezember 2023 sieht CDU und AfD gleichauf, so die SZ. Wie bewerten wir dieses Meinungsbild? Was können wir tun, um diesen Wahlausgang zu verhindern? Wie stark ist die AfD in Sachsen? All diese Gedanken haben wir mit unserem liebsten Stadtrat Martin Meißner geteilt und ihn nach seiner Einschätzung gefragt – Martin ist als “Dunkel. Dreckig. Reudnitz” nicht nur viel im Internet unterwegs, sondern auch familien- und digitalpolitischer Sprecher der Bündnis 90/Die Grünen-Fraktion im Leipziger Stadtrat, dem er seit 2019 angehört, und zudem im Vorstand des kommunalpolitischen Bildungsvereins DAKS Sachsen e. V. Bei der kommenden Stadtratswahl wird er erneut antreten. Wir sprechen mit Martin über seine politische Arbeit als Stadtrat für die Grüne Fraktion Leipzig und das Wahljahr 2024 in Sachsen.

Anne-Katrin im Interview mit Martin Meißner

Anne: Hallo Martin, was begeistert dich an der politischen Arbeit?

Diese Frage stelle ich mir immer wieder. Es gibt viele Momente, die wirklich keinen Spaß machen, sondern die nur Arbeit sind. Aber ich kann von mir aus sagen, dass ich es einfach gerne mache. Ich beschäftige mich gern mit Politik und damit, wie es mit der Stadt weitergeht. Zudem macht mir auch die Arbeit in der Fraktion sehr viel Freude. Das möchte ich natürlich gern fortsetzen.

Warum hast du dich damals für Bündnis 90/Die Grünen entschieden?

Ja, wie kommt man nur so auf die schiefe Bahn? Ich bin da so reingerutscht. Vor zehn Jahren habe ich den Stadtteilblog “Dunkel. Dreckig. Reudnitz” betrieben – die ein oder anderen erinnern sich. Während dieser Zeit habe ich mich ganz intensiv mit dem Viertel beschäftigt. Über diese Arbeit bin ich zum Stadtbezirksbeirat Südost gekommen, dort saß ich dann– ohne Mitglied zu sein – für die Grünen, weil ich noch mehr Infos über den Stadtteil und mich einbringen wollte. Daraufhin wurde ich gefragt, ob ich mir nicht vorstellen kann, in den Stadtrat zu gehen. Im Zuge dessen bin ich dann Mitglied bei den Grünen geworden und nach und nach in die Parteiarbeit reingewachsen. Grundsätzlich bin ich damit glücklich, aber natürlich nicht mit allem einverstanden – das ist wie in einer Familie.

Welche Partei-Themen haben mit deiner persönlichen Überzeugung besonders gut übereingestimmt?

Seit Jahren habe ich mich als Stadtteilblogger in Reudnitz engagiert. Hier konnte ich den Wandel unserer Stadt exemplarisch beobachten. Wir haben immer mehr Einwohner*innen, mehr junge Familien und es gibt immer weniger Baulücken und unrenovierte Häuser. Bei dieser grundsätzlich positiven Entwicklung ist es mir wichtig, darauf zu achten, dass Leipzig eine Stadt für alle bleibt. Der Nachhaltigkeitsaspekt in dem Sinne, dass die Stadt für alle bestehen bleibt, ist mir sehr wichtig. Wir wollen ein Leipzig für alle erhalten. Der Aufschwung darf nicht dazu führen, dass Leipzigerinnen und Leipziger mit geringem Einkommen an den Stadtrand gedrängt werden. Schauen wir speziell auf die Verkehrspolitik: Es besteht das Bild, dass wir die bösen Fahrradfahrer*innen sind, die Autos verbieten wollen. Ich sehe das aus einer anderen Sicht: Ich fahre mit einem Carsharing-Auto, ich bin viel mit dem Rad unterwegs, ich leiste mir den Luxus eines Deutschlandtickets – nicht, weil ich darauf angewiesen bin, sondern weil ich so spontan in die Bahn steigen kann. Wir müssen die Stadt so gestalten, dass sie für so viele Menschen wie möglich funktioniert. Nur die Hälfte der Leipziger Haushalte verfügen über einen eigenen Pkw. Es geht darum, einen Ausgleich zu finden und vom Monopol “Auto” wegzukommen. Nur weil wir Dinge immer schon so gemacht haben, müssen wir das nicht weiter so durchziehen. Auch für die Autofahrenden hat sich viel verändert, denn in den letzten Jahren sind in Leipzig sowohl 100.000 neue Menschen als auch sehr viele neue Autos dazugekommen. Wo sollen denn in den innenstadtnahen Wohngebieten neue Parkplätze dafür herkommen? Wir müssen also Angebote schaffen und Alternativen möglich machen. Ich glaube, dass das auch so passieren wird. Das sehen wir zum Beispiel aktuell am Innenstadtring. Auch wenn solche Debatten oftmals als Kulturkampf geführt und wahrgenommen werden. Da muss man stark bleiben! Am Ende löst sich das Geschrei zum Beispiel vor dem Hauptbahnhof in Wohlgefallen auf. Nur bei der Lösung an der Blechbüchse bin ich noch skeptisch. Angeblich sind bei einem richtig guten Kompromiss alle unzufrieden. Da sind wir Stand jetzt. Wenn sich zeigt, dass es nicht funktioniert, muss sich wieder etwas ändern.

Das Wahljahr ist offiziell eröffnet: Wie blickst du dem entgegen?

Wir haben nächstes Jahr ein Superwahljahr vor uns. Wir wählen ja alles außer den Bundestag. Bis zum Sommer werden wir auch nicht aus dem Wahlkampf rauskommen, denn wir haben die Europa- und Kommunalwahl Anfang Juli, danach geht es direkt weiter mit der Landtagswahl am 1. September 2024. Auch bei unserem Stadtrat ist unklar, ob die grundsätzliche rot-rot-grüne Mehrheit bestehen bleibt. Wir haben natürlich weiterhin das Leipziger Modell, bei dem es keine Koalitionsabstimmungen gibt, sprich jedes Thema innerhalb der Fraktion neu abgestimmt wird. Dabei bilden sich auch manchmal merkwürdige Kombinationen. Es gibt eine grundsätzliche Mehrheit für liberale, demokratische Positionen im weitesten Sinne – die Freibeuter zähle ich da auch mit dazu. Aber es setzt sich so langsam die Erkenntnis durch: Was ist denn, wenn wir diese Mehrheit nicht mehr haben? Was müssen wir denn jetzt noch sichern? Dass Rückschritte möglich sind, sehen wir ja in Berlin ganz deutlich, wo Maßnahmen der Mobilitätswende zurückgenommen werden.

Warum sollten die Bürger*innen aus deiner Sicht die Grünen wählen?

Wir versuchen, Umwelt- und Klimaschutz und die wirtschaftliche Stadtentwicklung nicht gegeneinander auszuspielen. Tatsache ist, dass es immer heißer und trockener wird und wenn es regnet, dann kommt alles auf einmal. Wir müssen uns auf dieses Klima einstellen, wir müssen uns auf diese Veränderungen vorbereiten – vor allem müssen wir unsere Stadt dafür umbauen. Ich verstehe, dass das Konflikte verursacht. Wenn ich zum Beispiel Autofahrer bin und die Erwartungshaltung habe, dass mein Auto vor der Tür stehen muss, finde ich es sicherlich sehr ärgerlich, wenn die Straße aufgerissen wird, um Bäume zu pflanzen. Der Anfangseffekt ist, dass Parkplätze wegfallen – aber in zehn Jahren habe ich den Effekt, dass meine Straße abgekühlt wird. Wir brauchen diesen langfristigen Effekt dringend! Wenn wir das nicht machen, kommen wir in Teufels Küche – und das wortwörtlich!

“Wir versuchen, Umwelt- und Klimaschutz und die wirtschaftliche Stadtentwicklung nicht gegeneinander auszuspielen.”

Anne: Machst du dir selbst Sorgen um die Zukunft, vor allem in Bezug auf den Rechtsruck auf Stadt- und Landesebene?

Ich habe keine Angst davor, dass er kommt. Denn er ist bereits da. Auf der einen Seite haben wir in unserer Geschichte noch schlimmere Zustände erlebt – wo es hinführen kann, wissen wir. Die Baseball-Schläger-Jahre und die brutalen Nullerjahre kenne ich persönlich noch aus meiner Jugend in Leipzig. Dabei bin ich hier noch privilegiert aufgewachsen im Vergleich zu Menschen, die in ländlichen Strukturen groß geworden sind. Auf der anderen Seite sind wir gerade weit weg von diesen Zeiten. Aktuell kann ich mir auch nicht vorstellen, dass wir wieder dahin zurückkommen werden. Ich hoffe es nicht. Gleichzeitig haben wir die Gefahr, dass die Gewalt nicht mehr von der Straße, sondern von oben, sprich vom Staat ausgeht. Es gibt die Position, die sagt: Lass die AfD mal machen, die werden sich schon selbst entzaubern und dann werden die Menschen sehen, was dahintersteckt. Aber das hören wir jetzt schon seit zehn Jahren. Welche Masken sollen denn noch fallen? Es zeigt sich mit jedem Führungswechsel der Partei, dass die #AfD immer weiter nach rechts wandert – mehr geht kaum noch. Ich weiß nicht, wie rechtsextrem es noch werden kann, bis der Spuk vorbei ist. Sie sind doch entzaubert und es hilft offensichtlich nicht. Ich glaube auch nicht, dass es hilft, wenn sie Regierungsverantwortung bekommen und dann zeigen, dass sie nichts können. Denn sie können dort durchaus viel Schaden anrichten. Zuerst trifft es marginalisierte Gruppen und dann Stück für Stück alle Demokraten.

“Es hilft, die wirklichen Sorgen der Bürger*innen ernst zu nehmen, gleichzeitig nicht auf den Populismus-Zug aufzuspringen und die Kommunikation nicht dem Boulevard zu überlassen.”

Was können wir also unternehmen, um das Erstarken der AfD zu unterbinden?

Das ist die große Frage. Wir sind ernsthaft auf der Suche nach der Antwort darauf. Es kommt wahrscheinlich immer darauf an, wen du fragst. Politische Stabilität und ehrliche Politik helfen massiv gegen solche Rattenfänger. Es hilft, die wirklichen Sorgen der Bürger*innen ernst zu nehmen, gleichzeitig nicht auf den Populismus-Zug aufzuspringen und die Kommunikation nicht dem Boulevard zu überlassen. Wir müssen langfristig darauf schauen, dass wir unsere Ziele und Versprechungen umgesetzt bekommen. Aber zur Ehrlichkeit gehört dazu: Keine Partei bekommt die absolute Mehrheit. Da man immer dazu gezwungen ist, Koalitionen zu schmieden und Kompromisse zu finden, kann man einfach nicht das komplette Wahlprogramm umsetzen. Das ist unser politisches System.

Hast du einen Wunsch für das Wahljahr 2024?

Ich habe den Wunsch, dass die Menschen nicht wie ein Kaninchen vor der Schlange auf die AfD starren und Angst bekommen, dass die AfD die stärkste Fraktion im Landtag werden könnte. Nur weil sie die meisten Stimmen bekommen, heißt das noch nicht, dass sie die Regierungsmehrheit kriegen. Die werden sie nicht kriegen. Denn wenn man dann aus dieser Angst heraus die CDU wählt, hat man auch nichts gekonnt. Die Bürger*innen sollten entscheiden, welche Partei ihnen am nächsten liegt, womit sie am ehesten leben können. Allein aus Angst vor der AfD sollte man auf keinen Fall die CDU wählen, dann ändert sich auch nichts. Auch wenn sich der Ministerpräsident glaubhaft von der AfD abgrenzt. Die demokratischen Kräfte werden sich schon gegen die AfD zusammentun. Deswegen sollten alle die Partei stärken, die sie persönlich am meisten schätzen.

Vielen Dank, Martin.

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Pauline Grabosch

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