Superblocks sind super!

Der SUPERBLOCKS Leipzig e.V. zeigt, wie Stadtgestaltung von der Nachbarschaft für die Nachbarschaft funktionieren kann. Mit ihrem Pilotprojekt in der Hildegardstraße schaffen die Vereinsmitglieder Raum für Begegnung, Sicherheit und Teilhabe. Ihr Ziel? Einen Stadtraum gestalten, in dem alle Menschen – unabhängig von ihrer Lebenssituation – mitwirken können. „Niemand hat die perfekte Antwort, aber gemeinsam können wir Schritte entwickeln, die wirklich etwas verändern.“ So wird die Stadt nicht nur lebenswerter, sondern auch demokratischer. Wir sprechen mit Sanja und Jannis über den SUPERBLOCKS Leipzig e.V. und darüber, wie Nachbarschaftsprojekte dazu beitragen können, Stadträume lebenswerter, sicherer und gemeinschaftlicher zu gestalten.

Zoe im Interview mit Sanja und Jannis

Der Superblock auf der Hildegardstraße: Ein Pilotprojekt für mehr Sicherheit, Begegnung und eine klimafreundliche Stadtgestaltung.

Hallo Sanja und Jannis, erzählt uns doch bitte kurz, wer seid ihr und wo wir hier sind?

Sanja: Hallo, ich bin Sanja und ich bin Mitarbeiterin bei SUPERBLOCKS Leipzig e.V. – im von “Leipzig. Ort der Vielfalt” geförderten Projekt “Gemeinsam Zukunft Gestalten: Neustädter Markt” war es 2024 meine Aufgabe, mit den Menschen vor Ort Veranstaltungen zur demokratischen Stadtentwicklung durchzuführen. Wir befinden uns gerade in der Hildegardstraße zwischen Eisi und Ludwigstraße am Ort des 60 Meter Pilotprojekts. 

Jannis: Hallo, ich bin Jannis, ich mache hier mein Praktikum für meinen Geografie-Bachelor an der Uni. Ich begleite das Projekt und möchte mich gern mit einbringen.

Wir haben uns gefragt: Warum gibt es den Superblock genau an diesem Ort?

Sanja: Hier anliegend befindet sich die Ludwigstraße, die laut dem Ende April beschlossenen Verkehrskonzept zu einer Fahrradstraße wird. Wir sehen hier die Poller, die den Durchgang für den Autoverkehr verhindern. Diese wurden als Teil des Pilotprojekts 2023 installiert und weitere wurden zum Ausbau des Verkehrskonzepts während der letzten Europäischen Mobilitätswoche (EMW) aufgestellt. Ich freue mich sehr, dass ihr euch für den Superblock und die Verkehrskonzepte interessiert, die hier erprobt werden. Es geht darum, neue Ansätze im Verkehr umzusetzen, um den Herausforderungen durch den Klimawandel gerecht zu werden und auch anderen Verkehrsteilnehmer*innen mehr Raum zu geben. 

“Es geht darum, andere Verkehrskonzepte umzusetzen, um dem Klimawandel gerecht zu werden und auch anderen Verkehrsteilnehmer*innen Raum zu geben.”

Sanja: Die Initiator*innen wohnen hier in der Nachbarschaft. Während der Corona-Zeit, als die Schulen geschlossen waren und Treffen nur eingeschränkt möglich waren, suchten die Menschen nach Alternativen, besonders Familien mit Kindern. Ihr erinnert euch sicher, wie das war: Die Spielplätze waren abwechselnd überfüllt oder geschlossen, aber die Kinder wollten trotzdem draußen spielen. Die Nachbarschaft hat sich dann hier getroffen, gemeinsam mit Bewohner*innen der Gemeinschaftsunterkunft, die hier auch ist. Man kam ins Gespräch und überlegte, wie man die Straße umgestalten könnte. Die Idee entstand, sie zu einer Spielstraße zu machen, damit Kinder sich sicher aufhalten und der Raum auch von allen genutzt werden kann. So nahm das Projekt seinen Anfang und wurde zum Projekt “Neue Nähen” ausgebaut, das glücklicherweise zu einem Pilotprojekt der Nationalen Stadtentwicklungspolitik wurde. Somit haben diese 60 Meter Vorbildcharakter für viele Städte in Deutschland.

Wie wird das Projekt von den Menschen im Viertel angenommen? Welche Maßnahmen gibt es, um die Anwohner*innen aktiv in die Gestaltung und Weiterentwicklung einzubinden?

Sanja: Es ist der Anspruch unseres Projekts, eine demokratische Grundlage zu schaffen. Uns geht es grundsätzlich darum, die Nachbarschaft miteinander in Kontakt zu bringen und die Menschen dafür zu sensibilisieren, dass sie Gestaltungsmacht haben. Diese wird jedoch nur dann sichtbar und wirksam, wenn sich Menschen zusammenschließen – sei es in Vereinen, Initiativen oder anderen Räumen, in denen sie sicher ihre Meinungen und Bedürfnisse äußern können. Wir denken da inklusiv – einfach an alle Menschen! Allgemein gibt es ja das Phänomen der Vereinsamung – viele Menschen, gerade Senior*innen oder Menschen mit Beeinträchtigungen, gehen nur noch zum Supermarkt und wieder zurück und nehmen kaum mehr am gesellschaftlichen Leben teil. Dem wollen wir präventiv etwas entgegensetzen. Natürlich gibt es gesellschaftliche Strömungen, die wir nicht einfach ändern können, aber eine Nachbarschaft bietet die Chance, Angebote zu schaffen, die verbinden. Was ich an diesem Projekt besonders schätze, ist die Zusammenarbeit zwischen Zivilgesellschaft, Politik und Verwaltung. Kürzlich habe ich mit jemandem gesprochen, der sehr unzufrieden mit seinem Superblock in Stuttgart war. Er hatte das Gefühl, dass vor Ort gar nicht mit den Menschen gesprochen wurde, und es war unklar, wer sich um das Parklet (Anm. der Redaktion: Stadtmöbel) kümmern würde. Unser Ansatz ist ein anderer: Das Parklet, das wir in der Hedwigstraße aufgestellt haben, wurde in mehreren Veranstaltungen gemeinsam mit den Anwohner*innen entwickelt. Wir haben ihre Bedürfnisse aufgenommen, diese an eine Designerin weitergegeben und anschließend das Konzept erneut mit ihnen abgestimmt. Es gibt nicht „die eine Nachbarschaft“ – sie ist unglaublich divers. Hier treffen sich beispielsweise viele migrantische Frauen zum Kaffee, die Kinder spielen draußen und diese Vielfalt fließt in das Projekt ein. Leider wurde das Projekt online stark politisiert. Migrantische Unternehmer*innen aus der Nachbarschaft wurden mit persönlichen Aussagen plötzlich stellvertretend für alle Migrant*innen dargestellt – etwas, das überhaupt nicht stimmt. Diese populistische Zuspitzung, gerade im Wahlkampf, hat uns sehr getroffen. Unser Ziel ist es, unsichtbare Hürden abzubauen, aber solche politischen Angriffe torpedieren unsere Bemühungen. Das tut wirklich weh.

Welche Erkenntnisse oder Erfahrungen nehmt ihr aus diesem Projekt für zukünftige Vorhaben mit?

Sanja: Der Begriff “Superblock” wurde mittlerweile auch von der Stadt übernommen – das freut uns. Wir sind ein Verein, der an Projekten arbeitet. Für uns geht es darum, auf die Straße zu gehen und Dinge einfach mal umzusetzen. Dabei geht es viel um Sicherheit und Schulwege – Themen, die uns auch mit anderen Gruppen verbinden, wie zum Beispiel Fahrradaktivist*innen von #CriticalMass. Das sind Themen, die uns wirklich bewegen. Allerdings haben wir nicht die Kapazitäten, um einfach noch an einem anderen Ort einen Superblock umzusetzen. Dafür braucht es die Menschen vor Ort, die sagen, dass sich vor ihrer Haustür im Stadtraum etwas verändern sollte. Wir können dann unterstützen oder durch unsere Strukturen und Netzwerke mithelfen, aber letztlich braucht es die Leute, die sich aktiv einbringen. Wir sind offen für alle, die sich dafür interessieren. Die Entscheidung für die Umsetzung liegt letztlich in der Hand des Verkehrs- und Tiefbauamts, das mittlerweile Mobilitäts- und Tiefbauamt heißt. Solche Maßnahmen fallen in deren Zuständigkeitsbereich. In der Hedwigstraße soll es ebenfalls zu einer Verkehrsberuhigung kommen und zwar mit Beteiligung der Anwohner*innen. Ich persönlich hoffe dabei auf aufsuchende Beteiligung, denn wie schon gesagt, gibt es Menschen, die nicht zu öffentlichen Veranstaltungen gehen, um dort ihre Meinung zu äußern. Diese Menschen fühlen sich oft wertgeschätzt, wenn man sie direkt befragt – insbesondere zu dem Straßenraum, der sich direkt vor ihrer Haustür befindet. 

Jannis: Bei der Gestaltung der Hildegardstraße gab es leider schon häufiger Probleme. Vor allem autofahrende Personen haben die Beete umgestellt, um wieder Parkplätze zu schaffen. Um da etwas Abhilfe zu schaffen, wurde nun für die Straßenecke zur ‘Eisi’ festgelegt, dass dort eine Ladezone eingerichtet wird. Es gibt viele Einschränkungen seitens der Stadt, die vorgeben, was wir wie gestalten dürfen. Aktuell überlegen wir außerdem, wie wir das Müllproblem angehen können, da hier häufig sehr viel Müll liegen gelassen wird. 

Ist es auch Teil eurer Mission, dass durch Bepflanzung die Straßen kühler werden, oder ist das nur ein “netter Nebeneffekt”?

Sanja: Wir denken den Klimawandel mit. Das war ein gefährlicher Aspekt in diesem politischen Kampf, an dem wir plötzlich beteiligt waren – denn wir wurden plötzlich als grüne Ideolog*innen verunglimpft. Das Projekt wurde auch sehr schnell als ‘grünes Projekt’ abgestempelt, obwohl es das nicht ist. Wir sind überparteilich und in erster Linie für die Nachbarschaft da. Es spielt keine Rolle, welcher Partei man angehört – der Klimawandel wird uns alle betreffen. Wenn ich mir vorstelle, im Hochsommer in einer aufgeheizten Wohnung zu sitzen, während es draußen angenehmer ist, dann gehe ich gerne vor die Tür, ohne gleich an den See fahren zu müssen. In der Stadt hat man selten einen Garten direkt vor der Haustür und ich finde, die Idee, das zu ändern, ist eine schöne Utopie. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass begrünte Straßen die Umgebungstemperatur senken können. 

Jannis: Im Hinblick auf eine grünere und nachhaltigere Stadt ist Bepflanzung unglaublich wichtig, um Hitzeinseln zu vermeiden. Dafür braucht es größere Projekte. Besonders effektiv ist in der Stadt Fassadenbegrünung, doch leider stößt man dabei oft auf hohe bürokratische Hürden. Wenn ich daran denke, wie viel Papierkram allein dafür notwendig ist, ein einziges kleines Beet auf die Straße zu stellen, wird klar, wie schwierig solche Maßnahmen sein können. Dabei wäre weitere Begrünung an sich eine großartige Idee. 

Sanja: Es kann bis zu drei Jahre dauern, bis ein Baum gepflanzt wird. Das liegt in der Zuständigkeit des Amts für Stadtgrün und Gewässer, das zunächst prüfen muss, ob eine Bepflanzung an der entsprechenden Stelle überhaupt möglich ist – zum Beispiel wegen vorhandener Leitungen, Abwasserkanäle oder anderer infrastruktureller Hindernisse.

Was nehmt ihr persönlich aus diesem Projekt mit? Ihr habt es bereits erwähnt: Es kann etwas Selbstermächtigendes haben, wenn Menschen erkennen, dass sie den Raum um sich herum nicht nur gestalten können, sondern es auch dürfen.

Sanja: Da ich aus dem pädagogischen Bereich komme und ein sehr positives Bild von Beteiligung habe, gehe ich mit einem großen Optimismus an dieses Projekt heran. Gleichzeitig spüre ich aber auch Hemmungen oder erlebe leider sogar Eskalationen – es kam hier auf der Straße bereits zu offener Gewalt. Das ist etwas, das ich grundsätzlich vermeiden möchte. Bald veranstalten wir eine Zukunftswerkstatt, in der wir uns auch mit solchen Problemen auseinandersetzen werden. Unser Ziel ist es, die Straße als einen sicheren Ort für alle zu gestalten. Dabei geht es unter anderem darum, dass sich beispielsweise Frauen auch nachts sicher fühlen können. Wir haben dafür keine fertigen Lösungen, aber wir laden alle ein, gemeinsam danach zu suchen. Niemand hat die perfekte Antwort, aber zusammen können wir zumindest Schritte entwickeln, mit denen wir ausprobieren, wie wir etwas verändern können. 

“Niemand hat die perfekte Antwort, aber zusammen können wir zumindest Schritte entwickeln, mit denen wir ausprobieren, wie wir etwas verändern können.”

Jannis: Ich glaube, leider erreicht das oft nicht die Menschen, die es eigentlich erreichen sollte. Viele scheinen nicht zu verstehen, dass all das Versuche sind, etwas zum Besseren zu verändern. 

Sanja: Unser Fokus liegt auf den nachwachsenden Generationen. Es geht darum, ihnen zu zeigen, dass sie selbstwirksam sein können. Menschen, die das Gefühl haben, keine Selbstwirksamkeit zu besitzen, kann ich ihre Erfahrungen nicht nehmen, aber ich kann ihnen Teilhabe anbieten. Was du gerade gesagt hast – dass es vielleicht nicht die Richtigen erreicht – sehe ich ähnlich. Ich möchte niemanden missionieren, sondern lediglich den Raum öffnen, um gemeinsam zu gestalten. Gleichzeitig befinden wir uns leider in einer Zeit, in der es auch notwendig ist, Menschen in die Schranken zu weisen, die unsere Demokratie ablehnen.

Jannis: Ich glaube, in meiner Zeit hier bin ich mit der Idee, Stadtgestaltung aus der Nachbarschaft heraus zu entwickeln, viel vertrauter geworden. Anfangs bin ich noch mit dem Gedanken rangegangen, dass wir direkt perfekte Ideen haben, die die Stadt dann genauso umsetzt. Mittlerweile sehe ich es eher als unsere Aufgabe, Strukturen und Möglichkeiten zu schaffen, die es Menschen erleichtern, ihre Stadt selbst mitzugestalten – ohne große Hürden oder Umstände. Ich denke, es ist besonders wichtig, dass gerade die Menschen, die in gesellschaftlichen Prozessen oft den Kürzeren ziehen, genau das gleiche Recht haben, ihre Stadt mitzugestalten, wie diejenigen, die in ihrer Eigentumswohnung sitzen. Ich glaube, hier leisten wir wirklich wichtige Arbeit.

Was wünscht ihr euch für das Projekt?

Sanja: Ich wünsche mir vor allem, dass Menschen, die resigniert haben, wieder Hoffnung finden – eine positive Hoffnung. Und dass sie aufhören, nur anderen die Schuld dafür zu geben, wie sie sich fühlen, sondern stattdessen radikal Verantwortung für sich selbst übernehmen. Das ist etwas, das ich mir wirklich wünsche. Denn wir haben in uns selbst so viel mehr Potenzial, etwas zu verändern. Andere Menschen kann man nicht ändern, wenn sie es nicht wollen. Ich wünsche mir eine friedliche Zukunft, die wir selbst gestalten. Eine Zukunft, in der wir uns von den vielen Konflikten, die es derzeit gibt, nicht mitreißen lassen. Stattdessen sollten wir immer wieder versuchen, uns zu verbinden, solidarisch miteinander zu sein und eine gute Zeit miteinander zu haben. Ganz einfach. Eigentlich ganz einfach. 

Jannis: In meiner Utopie könnte die Nachbarschaft ihr Viertel so gestalten, wie sie es möchte. Schon allein die Tatsache, dass die Zivilgesellschaft von Politik und Verwaltung ernst genommen wird, würde vieles vereinfachen.

Vielen Dank an euch!

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