Mit Lastenrad durch Leipzig
Ein Erfahrungsbericht von Bastian
Nach Jahren im Leipziger Verkehr zieht unser Teammitglied Bastian sein Fazit: Alles ist besser als das Auto. Trotz Verkehrsherausforderungen ist sein 7,5 Kilometer langer Arbeitsweg mit dem Lastenrad schneller und grüner. Doch im Kampf um Vorrang und Platz auf den Straßen stößt er an seine Grenzen. Schmale Radstreifen und provisorische Lösungen machen das Pendeln nicht einfach. Als erfahrener Radfahrer mit einem Omnium-Lastenrad und Hündin Mascha an Bord erlebt er täglich Situationen, in denen Sicherheit oberste Priorität hat. Die Priorisierung im Verkehr ist ein zentrales Problem. Dennoch macht das Lastenradfahren Spaß und vermittelt ein Gefühl von Leichtigkeit im Straßenverkehr. Sein Wunsch: durchgehende Radwege, sichere Abstellmöglichkeiten und erschwingliche Lastenräder. Leipzig hat Potenzial!
Ich habe jetzt schon einige Jahre Erfahrung mit dem Leipziger Straßenverkehr. Mein Fazit: Alles ist besser als mit dem Auto. Eine wünschenswerte Tendenz. Ich erinnere mich an unzählige Situationen, in denen ich Verabredungen verschieben musste, weil mal wieder – wie aus dem Nichts – eine Zubringerstraße um zwei Spuren verengt wurde, damit den gesamten Verkehr lahmlegte und meine Ankunft sich um ca. 30 Minuten verzögerte. Ich sage nur „Berufsverkehr”. Trotz meines nun 7,5 Kilometer langen Arbeitsweges quer durch die Stadt bin ich mit dem Lastenrad schneller und kann auch noch zweimal an der Hundewiese anhalten. Ja, richtig gesehen und gelesen – Doggo Mascha fährt mit. Ganz subjektiv also, und das ist für mich der wichtigste Aspekt in diesem Erfahrungsbericht, bin ich mit meinem Arbeitsweg, der glücklicherweise zu einem großen Teil durch den Leipziger Grüngürtel führt, sehr zufrieden. Ich kann 30 Minuten durch Parks und Auenwälder radeln und bin sogar schneller als mit dem Auto. Von den 160 kcal pro Strecke ganz zu schweigen. Auch in der Vergangenheit ist mir beim Radfahren durch Leipzig aufgefallen, dass man oft die Möglichkeit hat, einen Abstecher ins Grüne zu machen. Ich will mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, aber ich glaube, das können nicht viele Großstädte bieten. Wenn man nicht in der glücklichen Lage ist, einen Großteil seiner täglichen Wege in Parks zurücklegen zu können, stößt man allerdings relativ schnell auf die Schwächen des Leipziger Radverkehrsnetzes. Der größte Mangel ist meiner Meinung nach der Vorrang des Autoverkehrs. Wenn man als Radfahrer*in oder zu Fuß eine Hauptstraße überqueren möchte, muss man sich bewusst sein, dass man eine untergeordnete Rolle spielt. Das merkt man auch an den Radfahrstreifen oder Ampelschaltungen, die an sehr vielen Stellen sehr provisorisch gelöst sind. Schon mit dem normalen Fahrrad habe ich kaum Platz zwischen Bordsteinkante und erster Autospur. Mit dem Lastenrad kann das schon manchmal zur Herausforderung werden, vor allem wenn immer mehr größere Räder im Verkehrsbild auftauchen. Ich selbst bin körperlich fit und habe viel Erfahrung im Straßenverkehr. Ich habe keine Probleme, das schwere Lastenrad über zwei rutschige Schienen zu manövrieren. Dennoch erlebe ich täglich Situationen, in denen ich mir mit einem zugekniffenen Auge wünsche, dass weder Mensch noch Material versagen. Das 35 Kilogramm schwere E-Bike mit zwei Kindern an Bord ist unglaublich schwer zu kontrollieren, vor allem wenn nur ein Meter breite Radstreifen zur Verfügung stehen und auch noch der Radverkehr vor und hinter dem eigenen Bike berücksichtigt werden muss. Das sind mal eben 200 Kilogramm samt Fahrer*in, die beschleunigt, gelenkt und auch wieder abgebremst werden müssen. Dennoch genießt man nicht so viele Privilegien wie beispielsweise ein Motorrad, welches inklusive Fahrer*in das gleiche Gewicht auf die Straße bringt.
Vielleicht hinkt der Vergleich ein wenig, aber ich denke, die Problematik der Priorisierung der verschiedenen Verkehrsteilnehmer*innen wird deutlich. Um es kurz zu machen: Es ist nicht einfach, in Leipzig mit dem Lastenrad zu pendeln, aber das sollte es sein, wenn die Verkehrswende voranschreiten soll. Man braucht etwas Erfahrung im Straßenverkehr, man muss die Streckenbeschaffenheit kennen, „ruhigere” kleine Umwege und mögliche Abkürzungen ausfindig machen und natürlich braucht man an allen POIs vernünftige Abstellmöglichkeiten. Das sind neben dem Kostenfaktor für Anschaffung und Co. sehr viele Hürden, die überwunden werden müssen, bis sich der eingangs beschriebene Entspannungseffekt einstellt. Dagegen hat man im Auto zwar andere Probleme, aber man sitzt wenigstens im Warmen und der Verkehr ist klar geregelt. Auf dem Lastenrad gibt es für mich letztendlich keine wesentlichen Unterschiede im Vergleich zum Pendeln mit dem normalen Fahrrad. Abstellmöglichkeiten, durchgängige Radwege und bezahlbare Lastenräder stehen trotzdem auf meinem Wunschzettel, lieber Weihnachtsmann. Allen Interessierten empfehle ich dringend, ein Lastenrad zu fahren. Es macht unglaublich viel Spaß, es gibt tolle „Fahrradfahren lernen”-Vibes und durch das Gewicht kann man sich auch unerwartet leicht und sicher im Straßenverkehr bewegen.
Zum Schluss gibt es noch eine Sache, die mir vor allem im täglichen Berufsverkehr immer wieder negativ auffällt. Die Motive mögen unterschiedlich sein, aber im Leipziger Straßenverkehr wird sich nichts geschenkt. Kein Zentimeter. Weder zwischen Rad- und Autofahrer*innen noch untereinander. Auseinandersetzungen verbaler Art sind auch bei mir fast an der Tagesordnung. Dabei sind es nicht mal unbedingt die Beinahe-Unfälle, sondern wirklich der Tunnelblick und die Risikobereitschaft einzelner Verkehrsteilnehmer*innen. Als ich in der Grundschule meinen Fahrradpass gemacht habe, habe ich vor allem die Grundregel Nr. 1 gelernt: gegenseitige Rücksichtnahme im Straßenverkehr. Wenn ich morgens an der Ampel stehe und es von vier Seiten raucht, sich Autos und Radfahrende an mir vorbeischlängeln, um das Gleiche an der nächsten Ampel wieder zu tun, frage ich mich ernsthaft, ob der Fahrradpass damals nur bei mir im Dorf ausgestellt wurde. Spaß beiseite. Natürlich gibt es bei Länge, Ausbau und Qualität der Radwege immer noch Luft nach oben. Aber wenn wir es nicht schaffen, alle ein bisschen an unserem Ego zu arbeiten, nützt mir auch ein breiter Radweg nichts. Wie oft bin ich auf der Jahnallee von Lkws oder Familienkutschen mit 50 bis 60 km/h überholt worden ... Ja, es war noch gelb, habe ich auch gesehen. Aber dass die Kolleg*innen damit auf der gesamten rechten Fahrspur einen Windsog von 40 km/h erzeugen und die Grünphase des Fußgänger*innenverkehrs verpassen, ist ihnen ziemlich egal. Hauptsache rechtzeitig auf dem Rewe-Parkplatz stehen. Wie auch die besten Life Coaches sagen würden: Das Mindset zählt und damit könnten wir auch trotz ausbaufähiger Infrastruktur sehr viel mehr bewirken. In diesem Sinne: Frohes „Gang-Zurückschalten”!